Train Sim World® 6 (Dovetail Games)
September 2025
Die Eisenbahn, wie sie leibt und lebt
Es gibt Spiele, die wollen uns Adrenalin schenken, andere wollen uns zum Nachdenken bringen. Train Sim World® 6 will etwas anderes: es will uns entschleunigen. Es lädt uns ein, in die Welt der Schienen einzutauchen, die Maschine zu spüren, das Gewicht, die Trägheit, die Kraft. Dovetail Games hat mit diesem sechsten Teil der Reihe versucht, das ultimative Erlebnis für Zugliebhaber zu schaffen – und tatsächlich gelingt ihnen ein beeindruckendes Kunststück zwischen Realismus, Technik und Atmosphäre.
Die Faszination der Langsamkeit
Man sitzt im Führerstand, die Sonne geht langsam über den Gleisen auf, Nebel zieht über die Wiesen, während das leise Klicken der Schienen den Takt vorgibt. Kein anderer Simulator fängt diesen Moment so ein wie Train Sim World® 6. Es ist kein Spiel, das dich mit Spektakel überflutet – es ist eines, das dich atmen lässt. Jeder Handgriff zählt, jede Kurve hat Gewicht. Die Entwickler verstehen die Psychologie des Bahnfahrens: die geduldige Präzision, die Faszination für Kontrolle, die Ruhe, die in der Routine liegt.
Technische Präzision – bis zur letzten Schraube
Schon beim ersten Start wird klar: Train Sim World® 6 ist kein Schnellschuss, sondern das Ergebnis jahrelanger Erfahrung. Dovetail Games hat sich wieder einmal selbst übertroffen, was die technische Genauigkeit angeht. Die Züge wurden akribisch nachgebildet, jedes Armaturenbrett, jeder Hebel, jede Anzeige ist authentisch. Es fühlt sich fast so an, als würde man tatsächlich einen ICE 3 oder eine Class 66 in den Händen halten. Die neue Unreal Engine-Iteration sorgt dabei für spürbar bessere Beleuchtung und physikalisch realistischere Bewegungen der Züge. Besonders beeindruckend: das neue Wettersystem, das Regen und Nebel nicht nur optisch darstellt, sondern auch Einfluss auf Bremswege und Fahrverhalten nimmt.
Man merkt, dass Dovetail die Wünsche der Community ernst genommen hat. Viele Kleinigkeiten, die in früheren Teilen kritisiert wurden, sind verbessert: Die Performance ist stabiler, das Sounddesign dynamischer, und das Interface wirkt aufgeräumter. Dennoch ist Train Sim World® 6 kein Spiel für Ungeduldige – wer hier nach fünf Minuten Action sucht, wird enttäuscht. Hier zählt Präzision, Planung und Liebe zum Detail.
Die Strecken – Reisen ohne Ziel, aber mit Bedeutung
Das Spiel bietet von Haus aus mehrere, sorgfältig designte Strecken: britische Vorstadtlinien, amerikanische Güterrouten, deutsche Fernverbindungen. Jede Strecke ist eine Welt für sich, mit ihrem eigenen Rhythmus und Charakter. Besonders eindrucksvoll fand ich die Kassel–Würzburg-Strecke, die nicht nur grafisch überzeugt, sondern auch fahrerisch anspruchsvoll ist. Die Tunnelabschnitte, die Steigungen, das Spiel mit Geschwindigkeit – alles wirkt harmonisch ineinander verwoben.
Auch die neuen Szenarien sind gelungen. Manche Missionen sind klassische Fahrten von A nach B, andere setzen auf Aufgabenvielfalt: Güter rangieren, Züge koppeln, Passagiere rechtzeitig befördern. In den besten Momenten fühlt man sich nicht wie ein Spieler, sondern wie ein echter Lokführer, der Verantwortung trägt.
Realismus mit kleinen Stolpersteinen
So detailverliebt Train Sim World® 6 ist, es hat auch seine Tücken. Manche Steuerungen sind umständlich, besonders beim schnellen Wechsel zwischen Fahrzeugen oder beim Bedienen älterer Lokmodelle. Die Lernkurve ist steil, und gerade Neueinsteiger könnten sich anfangs überfordert fühlen. Das Tutorial führt zwar solide ein, aber sobald man in komplexere Szenarien einsteigt, ist Eigeninitiative gefragt.
Hinzu kommt, dass das Spiel manchmal in seiner eigenen Komplexität erstickt. Wenn man 20 Minuten auf Grün wartet, weil das Signal blockiert ist, kann das meditativ wirken – oder nervig, je nach Stimmung. Aber genau hier liegt der Reiz: Train Sim World® 6 ist kein Spiel, das dich unterhält. Es ist eines, das dich fordert, dass du dich auf seine Langsamkeit einlässt. Wenn man das tut, entfaltet sich eine fast schon hypnotische Wirkung.
Atmosphäre und Sound – das unterschätzte Meisterwerk
Ein oft übersehener Aspekt bei Simulationsspielen ist der Sound, und hier liefert Dovetail Games auf höchstem Niveau. Die Triebwerke dröhnen mit satter Tiefe, die Bremsen quietschen realistisch, und selbst das leise Klicken der Relais im Cockpit hat Gewicht. Wenn man im Führerstand sitzt, die Scheibenwischer laufen und der Regen gegen das Glas prasselt, dann fühlt man sich tatsächlich wie auf einer echten Fahrt. Dazu gesellt sich die neue Umgebungsakustik: Bahnhofsansagen, Wind, entfernte Züge – alles verschmilzt zu einer stimmungsvollen Kulisse.
Technik und Performance
Ich habe Train Sim World® 6 auf einem leistungsstarken System gespielt, und trotz der enormen grafischen Dichte lief das Spiel flüssig. Die Ladezeiten sind zwar noch immer etwas lang, aber akzeptabel. Positiv fällt auf, dass Dovetail Games bei den Texturen nachgelegt hat. Schienen, Vegetation, Gebäudefassaden – alles wirkt schärfer und lebendiger. Besonders beeindruckend ist die Darstellung von Lichtreflexionen bei Regen oder in Tunneln. Trotzdem bleibt der typische Dovetail-Stil: Es sieht realistisch aus, ohne den „Spielcharakter“ zu verlieren.
Dennoch gibt es kleinere Bugs – etwa Züge, die in seltenen Fällen im Boden versinken oder Sound-Loops, die nach längeren Fahrten auftreten. Sie sind selten, aber vorhanden. Es zeigt, dass auch Train Sim World® 6 trotz seiner Reife noch Raum für Patches hat.
Wiederspielbarkeit und Motivation
Was Train Sim World® 6 langfristig trägt, ist die Leidenschaft fürs Fahren. Es gibt keinen klassischen Karrieremodus im Sinne einer Story – die Motivation entsteht aus dem Perfektionismus. Eine fehlerfreie Fahrt bei schlechtem Wetter, ein perfekter Halt auf den Zentimeter genau, das richtige Timing beim Signalwechsel – das sind die Momente, die zählen. Dazu kommt die gewaltige Modding-Community, die regelmäßig neue Strecken und Fahrzeuge veröffentlicht. Schon jetzt ist klar: Dieses Spiel wird über Jahre hinweg wachsen.
Für Fans der Reihe ist Train Sim World® 6 ohnehin ein Pflichtkauf. Für Neulinge? Eine Einladung, Geduld zu lernen. Und das ist keine Übertreibung: Wer sich auf dieses Spiel wirklich einlässt, erlebt etwas, das kaum ein anderes Genre bieten kann – eine Form der stillen Zufriedenheit.
