Elitenbildung im kulturellen und historischen Vergleich. Der prägende Einfluss der Familien, Vorbilder und Lehrmeister ist ein Buch aus dem Velbrück Wissenschaft Verlag und erschien am 30. August 2024.
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Elitenbildung im kulturellen und historischen Vergleich
Die vorliegende Studie weicht von der in der Elitensoziologie verbreiteten Auffassung ab, dass die gesellschaftlichen und politischen Spitzenpositionen von Aspiranten besetzt werden, die sich im allgemeinen Konkurrenzkampf als besonders tüchtig und durchsetzungsfähig bewährt haben. Kritisiert wird daran meist, dass im Auswahlprozess Angehörige der niederen sozialen Schichten benachteiligt würden. Das Ausleseverfahren als solches bleibt dabei außen vor. Peter Waldmanns Studie setzt hier mit der Frage an: Was müssen Gesellschaften tun, damit die jeweils Klügsten, Erfahrensten und Leistungsstärksten Führungspositionen einnehmen? Nicht zuletzt weil das heutige Elitenspektrum westlicher Gesellschaften weit vom Ideal der Elitenbildung abzuweichen scheint, verlangt diese Frage nach Klärung. Zu diesem Zweck geht die Studie historisch und kulturvergleichend vor. Sie umfasst in zeitlicher Hinsicht die Ära des Feudalismus und die sich daran anschließende Industrialisierungsphase, geht aber, von Ausnahmen abgesehen, nicht über die späten 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinaus. Der kulturelle Bogen der Untersuchung umspannt neben Deutschland auch Frankreich, die USA, Japan und China. Die Arbeit führt zu einigen transkulturell gültigen Einsichten: Den funktionalen Mittelpunkt der Elitenbildung bildete die Oberschichtfamilie, der aufgrund ihres Vermögens, ihres über die Generationen hinweg angesammelten Erfahrungsschatzes sowie eines den Nachkommen tradierten Tugendkanons eine Schlüsselrolle in der Aufrechterhaltung der Elitenkontinuität zufiel. Auf die Primärsozialisation im Schoße der Familie folgte meistens eine Anlern- und Schulungsphase durch einen überlegenen Lehrmeister, der Eliteanwärter auf künftige Herrschafts- und Führungsaufgaben vorbereitete. Ein dritter in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzender Bildungsfaktor war der Umstand, dass der Ausleseprozess nicht gemäß abstrakter Regeln erfolgte, sondern auf der Basis von Anweisungen und Direktiven konkreter Personen.
Das Buch „Elitenbildung im kulturellen und historischen Vergleich“, herausgegeben vom Velbrück Wissenschaft Verlag, hat mich aufgrund seiner tiefgreifenden Analyse und seines umfangreichen historischen Ansatzes besonders beeindruckt. Peter Waldmann, ein renommierter Soziologe und emeritierter Professor der Universität Augsburg, bietet in diesem Werk eine fundierte Betrachtung der Mechanismen, die zur Bildung von Eliten in verschiedenen Kulturen und Epochen geführt haben. Waldmann widerspricht der weit verbreiteten Vorstellung, dass Eliten durch individuelle Leistung und Konkurrenzkampf an die Spitze kommen. Vielmehr zeigt er auf, dass die Auswahlprozesse meist nicht den vermeintlich besten und klügsten Menschen den Zugang zu Führungspositionen ermöglichen. Die zentrale Frage, die das Buch stellt, lautet: Was muss geschehen, damit die wirklich kompetentesten Personen in einer Gesellschaft zu Führungspersönlichkeiten aufsteigen?
Ein besonders faszinierender Aspekt dieses Buches ist der kultur- und zeitenübergreifende Vergleich. Waldmann analysiert Elitenbildungsprozesse in verschiedenen historischen Kontexten, darunter der Feudalismus, die Industrialisierung und die späten 1970er Jahre. Der kulturelle Rahmen der Untersuchung erstreckt sich von Deutschland über Frankreich, die USA bis hin zu Japan und China. Dieser breite Vergleich ermöglicht es, sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede in der Elitenbildung herauszuarbeiten, was dem Leser eine transkulturelle Perspektive auf das Thema gibt. Ein zentrales Element in der Bildung von Eliten ist laut Waldmann die Rolle der Familie. Ob in westlichen oder asiatischen Gesellschaften, die Oberschichtfamilie spielt eine wesentliche Rolle bei der Vermittlung von Tugenden und Erfahrungen, die für den Erhalt des Status und der Macht von Eliten unerlässlich sind. Das Vermögen und der über Generationen angesammelte Erfahrungsschatz dieser Familien sichern oft die Kontinuität der Elite. Dies zeigt sich in der Primärsozialisation durch die Familie und wird durch die gezielte Anleitung durch Lehrmeister und Vorbilder fortgesetzt.
Besonders interessant fand ich Waldmanns Betonung darauf, dass die Auswahl von Führungskräften selten auf abstrakten Prinzipien beruht, sondern häufig durch persönliche Anweisungen und Beziehungen beeinflusst wird. Diese informellen Mechanismen untergraben oft das Ideal von meritokratischen Ausleseverfahren. Der Einfluss persönlicher Netzwerke und familiärer Bindungen auf den Aufstieg zur Elite ist nicht nur historisch von Bedeutung, sondern wirft auch ein kritisches Licht auf gegenwärtige westliche Gesellschaften, in denen ähnliche Strukturen weiterhin bestehen. Waldmann hat es geschafft, die Thematik aus einer soziologischen Perspektive präzise und gut nachvollziehbar darzustellen, ohne dabei die Komplexität der Materie zu vernachlässigen. Besonders seine historischen Fallbeispiele bieten wertvolle Einblicke in die Dynamiken, die bis heute die Struktur von Eliten prägen. Die Kapitel sind thematisch gut gegliedert und bauen logisch aufeinander auf. Trotzdem finde ich, dass sich das Buch in einigen Passagen sehr auf spezifische historische Ereignisse und Prozesse fokussiert, was das Verständnis für Leser ohne Vorkenntnisse in der Soziologie oder Geschichte etwas erschweren könnte.
Ein weiteres Highlight des Buches ist der analytische Stil Waldmanns. Er geht methodisch vor und zieht klare Schlüsse, die auf den Vergleich der untersuchten Gesellschaften basieren. Dennoch bleibt viel Raum für Interpretation und Reflexion, was mich als Leser dazu angeregt hat, über die heutige Gesellschaft und ihre Strukturen kritisch nachzudenken. Die Untersuchung führt zu der Schlussfolgerung, dass das Elitensystem der westlichen Welt weit vom idealisierten Bild abweicht, in dem die „Besten“ und „Klügsten“ in Spitzenpositionen gelangen. Dieser Befund regt zum Nachdenken an, gerade in einer Zeit, in der Themen wie soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit so brisant wie nie diskutiert werden. Der Autor selbst, Peter Waldmann, hat eine beeindruckende akademische Laufbahn hinter sich. Er promovierte in Jura und war von 1997 bis 2005 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Seine fundierte Expertise in soziologischen und rechtlichen Fragen spiegelt sich in der Tiefe und Genauigkeit seiner Analysen wider. Durch seine langjährige Forschungserfahrung bringt er sowohl historische als auch soziologische Fachkenntnisse in die Diskussion ein, was dem Buch eine hohe Glaubwürdigkeit verleiht.
Insgesamt ist „Elitenbildung im kulturellen und historischen Vergleich“ ein wertvolles Werk für all jene, die sich für die Mechanismen hinter der Macht und den sozialen Aufstieg interessieren. Es bietet nicht nur eine historische Perspektive, sondern auch kritische Einsichten in aktuelle gesellschaftliche Strukturen. Für Leser, die sich mit Fragen der Gerechtigkeit und der Verteilung von Macht auseinandersetzen möchten, ist dieses Buch eine empfehlenswerte Lektüre.
Elitenbildung im kulturellen und historischen Vergleich
Hat mir besonders gefallen
- Das Buch bietet eine tiefgreifende, historische und kulturvergleichende Analyse der Elitenbildung, die weit über gängige soziologische Theorien hinausgeht.
- Waldmanns Untersuchung umfasst verschiedene Länder (Deutschland, Frankreich, USA, Japan, China) und Epochen, was eine umfassende Perspektive auf das Thema bietet.
- Das Buch beleuchtet die zentrale Rolle der Oberschichtfamilie und informeller Netzwerke bei der Elitenbildung, was einen erfrischend anderen Blick auf das Thema ermöglicht.
- Waldmann stellt einen kritischen Bezug zu aktuellen westlichen Gesellschaften her und regt zum Nachdenken über soziale Gerechtigkeit und meritokratische Strukturen an.
- Durch Waldmanns akademischen Hintergrund als Professor für Soziologie und seine langjährige Forschung verleiht er dem Buch eine hohe Expertise.