Wenn der Engel kommt (edition tingeltangel)
Mai 2024
Wenn der Engel kommt: Kriminalroman
In Nicole Eicks Kriminalroman „Wenn der Engel kommt“ begegnen wir nicht nur einem spannenden Mordfall, sondern auch einer durchdringenden Gesellschaftskritik, die sich um die Pflege von Senioren dreht. Die Geschichte beginnt im Hochhaus eines anonymen Viertels, in dem die 14-jährige Lina die Leiche einer vereinsamten alten Dame entdeckt. Schon der Einstieg in die Handlung ist packend, denn schnell wird klar, dass der Tod der alten Frau kein Einzelfall bleiben wird. Im Gegenteil, es häufen sich mysteriöse Todesfälle unter Senioren, die plötzlich und unerklärlich versterben.
Nicole Eick entfaltet hier ein Setting, das düster und gleichzeitig bedrückend realistisch ist. Sie nimmt die Leserinnen und Leser mit in eine Welt, die nur allzu oft hinter verschlossenen Türen bleibt: in den Pflegealltag von Senioren, der oftmals durch Einsamkeit und Vernachlässigung geprägt ist. Die Atmosphäre, die Eick schafft, ist beängstigend real, und ich konnte die Düsternis des Ortes förmlich spüren, die Beklemmung, die dieses Hochhaus umhüllt.
Fesselnde Ermittlungen von Alfred Meister und Dominique Brodbecker
Das Ermittlerduo Alfred Meister und Dominique Brodbecker wird mit der Aufklärung der Todesfälle beauftragt und schnell geraten zwei konkurrierende Pflegedienste ins Visier der Ermittler. Hier setzt Nicole Eick eine vielschichtige Handlung in Gang, die voller Wendungen und Überraschungen steckt. Meister und Brodbecker sind nicht nur einfache Figuren, die einem Schema folgen, sondern wirken sehr authentisch und lebendig. Die zwei Ermittler könnten unterschiedlicher kaum sein, und dennoch ergänzen sie sich auf eine besondere Weise. Während Meister sich durch seine analytische Herangehensweise und seine besonnene Art auszeichnet, bringt Brodbecker eine emotionale und oft impulsive Seite in die Ermittlungen ein.
Durch die unterschiedlichen Perspektiven der Ermittler wird die Geschichte abwechslungsreich und bleibt stets spannend. Beide Figuren werden im Verlauf des Romans zudem immer vielschichtiger, denn Eick beleuchtet auch ihre privaten Herausforderungen. Diese persönliche Dimension der Ermittler hat mir sehr gut gefallen, da sie den Charakteren eine zusätzliche Tiefe verleiht und ihre Handlungen und Entscheidungen verständlicher macht.
Einblicke in die Schattenseiten der Pflegewelt
Eicks Hintergrund als Sozialpädagogin, die unter anderem im Frauenhaus und im Sozialpsychiatrischen Dienst tätig war, fließt spürbar in die Handlung ein. Die Verknüpfung zwischen ihrer beruflichen Erfahrung und der Thematik des Romans ist deutlich und macht die Geschichte noch authentischer. In „Wenn der Engel kommt“ prangert die Autorin die Missstände im Pflegesystem an und zeigt auf, wie verwundbar die Menschen in diesem System sind. Der Alltag der Pflegekräfte und die Bedingungen, unter denen sie arbeiten, werden auf eine Weise dargestellt, die sowohl erschütternd als auch erhellend ist. Ich empfand es als besonders ergreifend, wie Eick die emotionalen und psychischen Belastungen dieser Arbeit schildert. In der Geschichte stellt sich immer wieder die Frage, ob das System diese Tragödien hätte verhindern können und inwieweit die Gesellschaft Verantwortung für die Alten und Schwachen trägt.
Ein klug komponierter Spannungsbogen und eine durchdringende Atmosphäre
Die Spannung in diesem Krimi ist von Anfang an spürbar und steigert sich bis zum dramatischen Höhepunkt. Nicole Eick versteht es, die Lesenden in eine Atmosphäre zu versetzen, die sowohl beunruhigend als auch packend ist. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, weil die Handlung nicht nur unvorhersehbar, sondern auch voller überraschender Wendungen ist. Jede Begegnung, jede noch so kleine Szene könnte den entscheidenden Hinweis für die Lösung des Falls enthalten, was dazu führte, dass ich jede Seite geradezu verschlungen habe. Die sorgfältig recherchierten Details, insbesondere über die Pflege und das Gesundheitssystem, tragen zusätzlich zur Authentizität des Romans bei. Eick zeigt, wie sich die Pflegenden in einem ständigen Spannungsfeld zwischen moralischen Ansprüchen und ökonomischen Zwängen bewegen, und beleuchtet dabei die Frage der Verantwortung auf eindringliche Weise.
Nicole Eick: Eine Autorin mit sozialem Feingefühl
Nicole Eick, eine gebürtige Karlsruherin, lebt inzwischen im fränkischen Coburg. Mit ihrem Studium der Sozialpädagogik und ihrer Arbeit in Bereichen wie dem Frauenhaus und der Schwangerenberatung hat sie Einblicke gewonnen, die sie in ihre Bücher einfließen lässt. Diese Erfahrungen verleihen ihren Figuren Tiefe und machen ihre Geschichten glaubhaft und lebendig. Eicks Fähigkeit, gesellschaftlich relevante Themen in eine spannende Handlung einzuflechten, zeichnet sie als Autorin aus. „Wenn der Engel kommt“ ist kein einfacher Krimi, sondern ein Werk, das zum Nachdenken anregt und das Bewusstsein für gesellschaftliche Probleme schärft.
Fazit: Ein außergewöhnlicher Krimi, der berührt und bewegt
„Wenn der Engel kommt“ ist ein Kriminalroman, der nicht nur durch seine spannende Handlung, sondern auch durch seine gesellschaftliche Relevanz besticht. Nicole Eick zeigt eindrucksvoll, dass ein Krimi mehr sein kann als ein bloßer Spannungsroman. Sie nutzt das Genre, um Missstände aufzuzeigen und sensibilisiert für die Themen Alter, Einsamkeit und Pflege. Dieser Roman ist eine klare Empfehlung für alle, die anspruchsvolle Literatur suchen, die mehr ist als bloße Unterhaltung.


