Suchbewegungen

Suchbewegungen ist ein Buch aus dem Scholastika-Verlag und erschien am 17. November 2023. 

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Suchbewegungen

Das Schlimmste an der Scham ist, dass man glaubt, man wäre die Einzige, die so empfindet. ―- Annie Erneaux Westberlin 1983. Alex ist achtzehn, und ihr Vater Paul liegt tot in einem Hotelzimmer. In Rückblenden erinnert sie sich: an den Vater, der trank, über die Stränge schlug, übergriffig wurde. Und an die Scham, ihren ständigen Begleiter. Gleichzeitig kommt Paul zu Wort. Er erzählt von seiner schwierigen Kindheit während der NS-Zeit, seinem steilen beruflichen Aufstieg während des Wirtschaftswunders und vom allgegenwärtigen Alkohol als sozialem Bindemittel. Ist die Scham überwunden, jetzt, da Paul tot ist? Und wie verzeiht man jemandem, der nichts wiedergutmachen kann? Eine Geschichte von Schuld und Scham und den Beschränkungen, die uns unsere Zeit auferlegt.

„Suchbewegungen“ von Astrid Stähler ist ein beeindruckender Debütroman, der tief in die komplexe Dynamik einer Familie in Westberlin der 1980er Jahre eintaucht. Die Geschichte beginnt 1983, als die 18-jährige Alex mitten in ihren Abiturvorbereitungen von der Nachricht erschüttert wird, dass ihr Vater Paul tot in einem Hotelzimmer gefunden wurde. In einer meisterhaften Erzählweise führt Stähler uns durch die schmerzhaften Erinnerungen von Alex und die traumatische Vergangenheit ihres Vaters, und zeigt uns, wie Schuld und Scham über Generationen hinweg weitergegeben werden. Paul, der Vater, wird durch seine eigene Stimme im Roman lebendig. Seine schwierige Kindheit während der NS-Zeit und sein Aufstieg während des Wirtschaftswunders bieten einen tiefen Einblick in seine Charakterbildung und die Ursachen seines destruktiven Verhaltens. Der allgegenwärtige Alkohol fungiert nicht nur als soziales Bindemittel, sondern auch als Flucht vor den inneren Dämonen und den nicht verarbeiteten Traumata. Diese Darstellung verleiht dem Leser ein Verständnis dafür, wie die historischen und sozialen Bedingungen das Leben und Verhalten eines Menschen prägen können.

Alex‘ Rückblenden sind eindringlich und ergreifend. Sie erinnert sich an die Ausbrüche und die Übergriffe ihres Vaters, an die ständige Scham und das Gefühl der Hilflosigkeit, das sie und ihre Familie beherrschte. Trotz der dunklen Erinnerungen gibt es auch Momente der Wärme und positiven Erlebnisse, die die Geschichte facettenreich und authentisch machen. Diese Ambivalenz spiegelt die Realität vieler Familien wider, die von Dysfunktionalität geprägt sind. Die 1980er Jahre in Westberlin werden in „Suchbewegungen“ lebendig dargestellt. Die Atmosphäre dieser Zeit, die Musik, die Mode und die politischen Spannungen fließen nahtlos in die Erzählung ein und bieten ein lebendiges Bild der Epoche. Besonders für Leser, die diese Zeit selbst erlebt haben, wird die präzise Darstellung eine nostalgische Reise in die Vergangenheit sein.

Ein besonderes Merkmal des Buches ist die Tiefe, mit der die Charaktere und ihre Beziehungen dargestellt werden. Die Autorin vermeidet einfache Schwarz-Weiß-Malerei und zeigt stattdessen die komplexen Grautöne menschlicher Emotionen und Verhaltensweisen. Die Frage, ob die Scham überwunden werden kann, bleibt bis zum Ende offen und lädt den Leser ein, über Vergebung und die Möglichkeit des Friedens mit der Vergangenheit nachzudenken. Astrid Stählers Erzählstil ist flüssig und fesselnd. Sie schafft es, den Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu packen. Der Roman ist nicht nur eine spannende Familiengeschichte, sondern auch eine tiefgründige Reflexion über die Auswirkungen der Vergangenheit auf das heutige Leben. Die sorgfältige Recherche und die authentische Darstellung der Charaktere und ihrer Lebensumstände machen „Suchbewegungen“ zu einem wertvollen Beitrag zur deutschsprachigen Literatur.

Insgesamt ist „Suchbewegungen“ ein äußerst lesenswertes Buch, das durch seine emotionale Tiefe und die kunstvolle Erzählweise besticht. Es bietet sowohl eine faszinierende historische Perspektive als auch eine universelle Geschichte über Schuld, Scham und Vergebung. Astrid Stähler hat mit ihrem Debütroman eine bemerkenswerte Leistung erbracht, und ich freue mich schon jetzt auf ihre zukünftigen Werke.

Suchbewegungen

8.1

Aufmachung

8.2/10

Umfang

8.1/10

Schreibstil

8.2/10

Thema

8.3/10

Aufbau

8.3/10

Lesbarkeit

8.3/10

Illustrationen Cover

7.5/10

Umsetzung

8.0/10

Hat mir besonders gefallen

  • Astrid Stählers Debütroman fesselt den Leser von der ersten bis zur letzten Seite und bietet eine tiefgründige Reflexion über die Auswirkungen der Vergangenheit.
  • Die präzise und authentische Schilderung der Atmosphäre in Westberlin der 1980er Jahre, die Musik, Mode und politischen Spannungen wird Leser nostalgisch in diese Epoche zurückversetzen.
  • Die komplexen und facettenreichen Charaktere, insbesondere die Darstellung von Paul und Alex, zeigen die Grautöne menschlicher Emotionen und Verhaltensweisen, ohne in einfache Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen.
  • Der Roman bietet einen detaillierten Einblick in die NS-Zeit und das Wirtschaftswunder, sowie deren Einfluss auf die nachfolgenden Generationen, und vermittelt so ein tiefes Verständnis für die deutsche Geschichte.
  • Die Darstellung der schwierigen Familienverhältnisse und der ständigen Begleitung durch Schuld und Scham ist eindringlich und realitätsnah, was den Leser emotional tief berührt.
Mediennerd
Mediennerd
Medienproduzent/Blogger, Katzenliebhaber und 1. FC Köln Fan im hohen Norden. Mit meiner Berufs- und Lebenserfahrung teste und vermarkte ich seit 2009 Produkte aller Art. Sie erhalten immer ein ehrliches Feedback.
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