Kalk ist ein Roman aus dem Verlag Edition W und erschien am 7. Oktober 2024.
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Kalk
Kalk, Mitte fünfzig und beflissener Mitarbeiter in einem Elektrofachgeschäft, muss raus. Der Lethargie des Alltags entfliehen, durchatmen und die Seele baumeln lassen. In Kijkduin, jenem Ort in den Niederlanden, an dem er schon als Kind mit seinen Eltern die Urlaube verbrachte, scheint Kalk Erholung zu finden. Als er ein Kind vor dem Ertrinken rettet, erwacht in ihm sein längst vergessenes Selbstbewusstsein und aus dem Antihelden wird ein Held. Er wächst über sich hinaus, geht an seine Grenzen und erfindet sich neu. Doch schnell verliert sich Kalk in der Fülle der Möglichkeiten, die sein gesteigertes Ego mit sich bringt, sein neues Ich entgleitet ihm und er droht sogleich alles zu verspielen. Letztlich holt ihn nicht nur die eigene Vergangenheit ein, sondern er lädt auch eine Schuld auf sich, die sich nicht einfach mit dem nächsten Bier in der Strandbar wegspülen lässt. Eine bitterböse Gesellschaftsstudie und ein Psychogramm des in die Enge getriebenen alten weißen Mannes.
„Kalk“ von Dirk Bernemann, veröffentlicht von Edition W, ist eine kraftvolle und bittere Auseinandersetzung mit dem Alltag eines Mannes, der sich in der Mitte seines Lebens befindet und den Ausbruch aus einer bedrückenden Routine sucht. Bernemann, der bereits mit seinen vorherigen Werken wie dem Bestseller Ich hab die Unschuld kotzen sehen bekannt wurde, stellt auch hier wieder sein Talent für gesellschaftliche Beobachtungen und sein Gespür für düstere, fast nihilistische Charakterstudien unter Beweis.
Die Geschichte dreht sich um Kalk, einen Mitte fünfzigjährigen Mann, der in einem Elektrofachgeschäft arbeitet und sich in den Zwängen des Alltags gefangen fühlt. Kalks Leben ist geprägt von Monotonie und innerer Leere – er funktioniert, aber lebt nicht wirklich. Der Ausbruch aus diesem Zustand beginnt, als Kalk beschließt, an einen Ort in den Niederlanden zu reisen, an dem er als Kind viele glückliche Urlaube verbrachte: Kijkduin. Dieser Tapetenwechsel weckt in ihm Erinnerungen und gibt ihm die Möglichkeit, sich selbst neu zu entdecken. Ein zentrales Ereignis der Geschichte ist Kalks Rettung eines Kindes vor dem Ertrinken. Diese heroische Tat löst in ihm ein Wiedererwachen seines Selbstbewusstseins aus, und der Leser erlebt, wie Kalk langsam aus seiner Antiheldenrolle herauswächst. Doch Bernemann zeigt, dass Veränderung nicht immer stabil oder linear verläuft. Kalk beginnt, sich in den neuen Möglichkeiten und seinem neu gefundenen Selbst zu verlieren. Sein Ego wächst, doch je größer sein Selbstvertrauen wird, desto mehr droht er auch, wieder alles zu verspielen.
Die Vergangenheit lässt sich jedoch nicht einfach abstreifen, und so wird Kalk mit alten Wunden und einer neuen Schuld konfrontiert. Bernemann zeichnet hier nicht nur das Bild eines Mannes, der an den Rand seiner Existenz getrieben wird, sondern entwirft auch eine düstere Gesellschaftskritik über die Schwierigkeiten, die moderne Männer im mittleren Alter erleben, während sie versuchen, einen Platz in einer sich wandelnden Welt zu finden.
Dirk Bernemann, geboren 1975 im westlichen Münsterland, ist bekannt für seine scharfsinnigen und oft provokanten Gesellschaftsanalysen. Er hat bereits zahlreiche Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht, die sich mit existenziellen Fragen und dem psychischen Druck der modernen Gesellschaft beschäftigen. Sein Stil ist geprägt von einer düsteren Poesie und einer prägnanten, fast misanthropischen Sichtweise auf das Leben und die Menschen. In Kalk bleibt Bernemann seiner Linie treu. Die Sprache ist direkt, oft rau, und spiegelt die innere Zerrissenheit des Protagonisten wider. Bernemann gelingt es, durch einfache, aber eindringliche Worte eine dichte Atmosphäre zu schaffen, die den Leser tief in Kalks Gedankenwelt hineinzieht. Seine Darstellung des Protagonisten wirkt zugleich empathisch und schonungslos – Kalk ist kein strahlender Held, sondern eine zutiefst menschliche Figur, die mit ihren eigenen Schwächen kämpft.
Die tiefgründige Auseinandersetzung mit Kalks Innerem macht das Buch zu einer intensiven Lektüre, die einen nachdenklich zurücklässt. Bernemann bringt auf den Punkt, wie es ist, in einer Gesellschaft zu leben, die sich ständig verändert, und wie schwer es ist, in dieser Gesellschaft als Individuum seinen Platz zu finden – vor allem, wenn man, wie Kalk, in einer Lebensphase angekommen ist, in der es vermeintlich zu spät ist, neu anzufangen.
Kalk ist mehr als nur die Geschichte eines Mannes, der sein Leben ändern möchte. Es ist eine bitterböse Gesellschaftsstudie und ein Psychogramm eines Menschen, der in der Mitte seines Lebens steht und erkennen muss, dass es vielleicht keine einfachen Lösungen für die großen Fragen des Lebens gibt. Dirk Bernemann liefert ein eindrucksvolles Porträt eines „alten weißen Mannes“, der an seinen eigenen Ansprüchen und den Erwartungen der Gesellschaft zerbricht. Für alle, die Bernemanns bisherigen Werke schätzen oder sich für tiefgehende, dunkle Charakterstudien interessieren, ist dieses Buch ein Muss. Es lädt den Leser dazu ein, über Themen wie Selbstfindung, Schuld und die Vergänglichkeit des Lebens nachzudenken und bietet eine packende Lektüre, die auch nach dem Zuklappen des Buches noch lange nachhallt.
Kalk
Hat mir besonders gefallen
- Das Buch liefert ein eindrucksvolles Psychogramm des Protagonisten Kalk, der sich in der Mitte seines Lebens neu erfinden möchte, was den Leser emotional mitnimmt.
- Bernemann bietet eine scharfsinnige, düstere Analyse moderner gesellschaftlicher Probleme, insbesondere bezüglich der Rolle des „alten weißen Mannes“ in einer sich verändernden Welt.
- Der Spannungsbogen, der sich um Kalks Selbstfindung und sein Scheitern aufbaut, hält den Leser gefesselt und sorgt für eine fesselnde Lektüre.
- Bernemanns direkte und raue Sprache verstärkt die Atmosphäre des Buches und passt perfekt zu den inneren Kämpfen des Protagonisten.
- Themen wie Schuld, Selbstfindung und Vergänglichkeit des Lebens werden tiefgründig behandelt, was das Buch zu einer intensiven, nachdenklichen Lektüre macht.