Heim

Heim (Jung u. Jung Verlag)

August 2024

Die Geschichte von Tilda und Willem beginnt auf offenem Meer, Mitte der 1930er Jahre.
Autor: Saskia Hennig von Lange
Genre: Roman
85%
Umfang
92%
Schreibstil
88%
Thema
90%
Lesbarkeit
80%
Buchcover
60%
Illustrationen
Heim ist ein eindringlicher Roman, der das Schicksal einer Familie in der Nachkriegszeit beleuchtet und die Auswirkungen von Kriegstraumata auf das Leben der Betroffenen eindrucksvoll darstellt.


82%

Heim: Roman

Saskia Hennig von Langes Roman Heim ist ein literarisches Werk, das tief in die seelischen Abgründe einer Nachkriegsfamilie eintaucht und die Folgen des Krieges auf die menschliche Psyche und auf zwischenmenschliche Beziehungen intensiv beleuchtet. Der Roman spielt in den 1950er Jahren und erzählt die Geschichte von Tilda und Willem, deren Beziehung auf einer Schiffsreise in den 1930er Jahren begann. Tilda, die damals eine unbeschwerte Vergnügungsreise unternahm, trifft auf Willem, der als Mitglied der „Legion Condor“ auf dem Weg nach Spanien ist, um am Bürgerkrieg teilzunehmen. Diese unterschiedlichen Lebenswelten und Erfahrungen prägen nicht nur ihre Ehe, sondern auch die Beziehung zu ihrer Tochter Hannah, die im Laufe des Romans zunehmend in den Mittelpunkt rückt.

Die Last der Vergangenheit

Willem, der nach dem Krieg als Chemiker arbeitet, ist geprägt von seinen Erlebnissen und Taten im Krieg. Die Traumata und Schuldgefühle lasten schwer auf ihm, und er findet nur wenig Möglichkeit, diese Lasten mit seiner Ehefrau zu teilen. Hennig von Lange gelingt es, die innere Zerrissenheit dieses Mannes in eindrucksvollen Bildern darzustellen. Statt sich seiner Familie zuzuwenden, flüchtet Willem in den Keller, wo er Jazz-Platten hört – ein Rückzugsort, an dem er zumindest für einen Moment der Realität entfliehen kann. Diese Flucht steht sinnbildlich für die Sprachlosigkeit und Entfremdung, die seine Beziehung zu Tilda prägen. Die Sprachlosigkeit zwischen den beiden spiegelt die Unfähigkeit wider, die seelischen Verletzungen der Vergangenheit gemeinsam zu bewältigen, was letztlich die Ehe der beiden zunehmend zerrüttet.

Tildas Rolle als Ehefrau und Mutter

Tilda, die Ehefrau von Willem, wird ebenfalls von den Erwartungen und gesellschaftlichen Zwängen der Nachkriegszeit beeinflusst. Sie ist gefangen in der Rolle der pflichtbewussten Ehefrau und Mutter, doch auch in ihr brodelt ein tiefer Unmut und eine Unzufriedenheit über das Leben, das sie führt. Die Enttäuschung über ihren distanzierten Ehemann und die Herausforderung, eine Tochter großzuziehen, die nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht, verstärken diese innere Unruhe. Tilda spürt, dass etwas in ihrem Leben fehlt, doch die Strukturen und Moralvorstellungen jener Zeit lassen kaum Raum für einen eigenen Weg oder das Ausbrechen aus der Rolle, die ihr zugedacht ist. Die innere Leere und die Suche nach Erfüllung führen schließlich zu Konflikten, die sich auf die gesamte Familie auswirken.

Hannah – das andersartige Kind

Hannah, die Tochter der beiden, wird nach dem Krieg geboren und entspricht in vielerlei Hinsicht nicht den Normen der Gesellschaft. Sie ist ungestüm, unkonventionell und zeigt Verhaltensweisen, die für die damalige Zeit als abweichend empfunden werden. Die Andersartigkeit von Hannah ist sowohl für ihre Eltern als auch für die Gesellschaft schwer zu akzeptieren. Tilda und Willem, selbst innerlich zerrüttet und überfordert, sehen sich nicht in der Lage, Hannah die notwendige Unterstützung und Liebe zu bieten, die sie braucht. Ihre Unfähigkeit, ihre Tochter zu verstehen und anzunehmen, spiegelt die starre Gesellschaft jener Zeit wider, die für alles, was sich außerhalb der Norm bewegt, kaum Verständnis aufbringen kann. Die Entscheidung, Hannah in ein Heim zu geben, ist ein Ausdruck dieser Überforderung und des gesellschaftlichen Drucks, der auf der Familie lastet.

Die beklemmende Atmosphäre des Heims

Die Beschreibungen des Lebens im Heim, in das Hannah schließlich abgeschoben wird, sind von beklemmender Intensität. Hennig von Lange schildert eindrucksvoll die Kälte und Unmenschlichkeit, die in diesen Institutionen herrscht. Hannahs Perspektive, durch die wir das Heimleben erleben, ist geprägt von Isolation, Einsamkeit und dem völligen Fehlen von Zuwendung und Verständnis. Die rigiden Strukturen des Heims und die entmenschlichende Behandlung der Kinder lassen keinen Raum für Individualität oder Zuwendung. Die detailreiche Darstellung von Hannahs innerer Welt, ihrer Gedanken und Gefühle, ermöglicht es dem Leser, sich in das Seelenleben dieses Kindes hineinzuversetzen und die tiefe Einsamkeit und den Schmerz, den sie erlebt, nachempfinden zu können.

Sprachliche Brillanz und psychologische Tiefe

Saskia Hennig von Lange zeigt in Heim eine sprachliche Meisterschaft, die es ihr ermöglicht, die psychologischen Abgründe ihrer Figuren feinfühlig und präzise darzustellen. Die Sprache ist kraftvoll und poetisch, ohne jedoch in Klischees oder übertriebene Dramatik zu verfallen. Durch die wechselnden Perspektiven zwischen Tilda, Willem und Hannah entsteht ein umfassendes Bild, das die individuellen Kämpfe und Sehnsüchte jeder Figur aufzeigt. Besonders beeindruckend ist die Darstellung von Hannahs Wahrnehmung der Welt, die trotz ihrer Andersartigkeit und ihres jugendlichen Alters eine tiefe Menschlichkeit offenbart und uns die gesellschaftliche Kälte jener Zeit spüren lässt. Die Intensität und Authentizität, mit der Hennig von Lange die Gefühlswelt ihrer Figuren beschreibt, macht Heim zu einem intensiven Leseerlebnis, das lange nachhallt.

Über die Autorin

Saskia Hennig von Lange, geboren 1976 in Hanau, ist eine renommierte deutsche Autorin, die durch ihre tiefgründigen Romane und die poetische Sprache einen besonderen Platz in der deutschsprachigen Literatur einnimmt. Sie studierte Angewandte Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen und lebt heute mit ihrer Familie in Frankfurt am Main. Für ihr literarisches Schaffen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, darunter der Rauriser Literaturpreis und der Clemens-Brentano-Preis. Hennig von Langes Werke zeichnen sich durch eine tiefgehende psychologische Analyse ihrer Figuren und eine eindrucksvolle Sprachgewalt aus, die den Leser tief berührt und zum Nachdenken anregt.

Fazit

Heim ist ein eindringlicher Roman, der das Schicksal einer Familie in der Nachkriegszeit beleuchtet und die Auswirkungen von Kriegstraumata auf das Leben der Betroffenen eindrucksvoll darstellt. Saskia Hennig von Lange gelingt es, die komplexen inneren Welten ihrer Figuren präzise und einfühlsam zu skizzieren, sodass der Leser tief in die Gefühlswelt von Tilda, Willem und Hannah eintauchen kann. Dieses Buch ist nicht nur eine spannende und berührende Lektüre, sondern auch ein literarisches Werk, das die gesellschaftlichen Zwänge und Herausforderungen der Nachkriegszeit reflektiert. Ein Buch, das nachdenklich macht und im Leser lange nachhallt.

Mediennerd
Mediennerd
Medienproduzent/Blogger, Katzenliebhaber und 1. FC Köln Fan im hohen Norden. Mit meiner Berufs- und Lebenserfahrung teste und vermarkte ich seit 2009 Produkte aller Art. Sie erhalten immer ein ehrliches Feedback.
DIESES KÖNNTE DIR AUCH GEFALLEN

Mediennerd.de unterstützt

Werbung

WERBUNG: Dieses Produkt und Produkte / Dienstleistungen und Vorstellungen auf Mediennerd.de wurden mir kostenlos zur Verfügung gestellt oder ich habe für die Erstellung eine Vergütung erhalten. (Ab 02/2025 nicht mehr) Die Bewertungen spiegeln trotzdem meine persönliche Meinung wider.

*Affiliate -Links

*AFFILIATE-LINKS: Dieser Beitrag und  Beiträge, Vorstellungen auf Mediennerd.de enthalten Affiliate-Links. Beim Kauf über einen dieser Links erhielt ich eine Provision. (Ab 02/2025 nicht mehr). Das beeinflusst meine Meinung nicht.

AKTUELLE GEWINNSPIELE