Hans Asperger und der Nationalsozialismus: Geschichte einer Verstrickung ist ein Buch aus dem Psychosozial-Verlag und erschien am 1. September 2024.
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Hans Asperger und der Nationalsozialismus
Der Wiener Kinderarzt und Heilpädagoge Hans Asperger ist als Erstbeschreiber des Autismus und Namensgeber des Asperger-Syndroms weltbekannt. Er galt lange Zeit als Gegner des nationalsozialistischen Regimes, gar als Retter von Kindern mit Behinderung vor der systematischen Ermordung unter dem NS-Regime. Doch kann dieses Bild einer aktiv widerständigen Position Aspergers aufrechterhalten werden? Herwig Czech legt eine kritische und fundierte Untersuchung von Aspergers Leben, politischer Orientierung und beruflicher Laufbahn vor und während der NS-Herrschaft vor. Anhand von bisher unbekannten Archivdokumenten zeigt er, dass sich Asperger an das Regime anpasste. Er trat mehreren NS-Organisationen bei, unterstützte öffentlich »rassenhygienische« Maßnahmen wie zum Beispiel Zwangssterilisationen und kooperierte in mehreren Fällen mit der »Kindereuthanasie«. So wird deutlich, dass Asperger eine wesentlich problematischere Rolle spielte, als bisher angenommen.
Das Buch „Hans Asperger und der Nationalsozialismus: Geschichte einer Verstrickung“ von Herwig Czech befasst sich mit einem äußerst heiklen und vielschichtigen Thema, das mich von Anfang an in seinen Bann gezogen hat. Die Auseinandersetzung mit Hans Asperger, dem Namensgeber des Asperger-Syndroms, und seine Rolle während des Nationalsozialismus ist nicht nur für Fachleute, sondern auch für interessierte Laien von großer Bedeutung, da es viele tiefgehende Fragen zur Ethik und Medizin in dieser dunklen Zeit der Geschichte aufwirft. Czech, ein Historiker der Medizin, greift in seinem Buch die kontroversen Debatten um Aspergers Beziehung zum NS-Regime auf und beleuchtet seine Tätigkeit als Kinderarzt und Heilpädagoge im Wien der 1930er- und 1940er-Jahre. Besonders beeindruckend finde ich, wie es dem Autor gelingt, die verschiedenen Facetten von Aspergers Person und Werk zu entwirren. Lange Zeit galt Asperger als eine Art Widerstandskämpfer, der angeblich Kinder mit Behinderungen vor der Ermordung im Zuge der NS-Euthanasieprogramme gerettet hat. Doch Czech zeigt anhand neuer Forschungsergebnisse auf, dass das Bild des „retterischen Arztes“ einer gründlichen Überprüfung nicht standhält. Im Gegenteil, Asperger war stärker in das nationalsozialistische System verstrickt, als bisher angenommen.
Czech belegt in seiner Forschung, dass Asperger an Entscheidungen beteiligt war, die das Schicksal von Kindern betrafen, die als „lebensunwert“ galten. Der Autor stellt dar, wie Asperger Kinder an Heilanstalten überwies, von denen bekannt war, dass sie in die Tötungsprogramme involviert waren. Diese Enthüllungen sind schockierend und werfen ein ganz neues Licht auf die ethische Verantwortung von Ärzten während des Nationalsozialismus. Was mich an dem Buch besonders berührt hat, ist die akribische Detailarbeit, die Czech in seine Recherchen gesteckt hat. Er stützt sich auf eine Fülle von Archivmaterialien, die zuvor kaum beachtet wurden, und lässt so ein umfassendes Bild entstehen. Als Leser bekommt man einen tiefen Einblick in die historische Forschung, und man wird unweigerlich mit der Frage konfrontiert, wie viel Verantwortung ein Einzelner in einem solch totalitären Regime übernehmen kann oder sollte.
Es gibt Momente in dem Buch, die mich regelrecht aufgewühlt haben. Beispielsweise die Abschnitte, in denen Czech auf die Schicksale der betroffenen Kinder eingeht. Die klinischen Beschreibungen und die nüchterne Art, wie Entscheidungen über Leben und Tod getroffen wurden, sind schwer zu ertragen. Gerade hier zeigt Czech, wie wichtig es ist, diese dunklen Kapitel der Medizingeschichte nicht zu verschweigen, sondern offen zu legen, auch wenn es schmerzhaft ist. Herwig Czech selbst ist als Historiker eine angesehene Persönlichkeit im Bereich der Medizingeschichte. Seine Arbeit ist geprägt von einer präzisen, quellenbasierten Methodik und einer kritischen Herangehensweise. Das macht das Buch zu einem wichtigen wissenschaftlichen Beitrag, aber gleichzeitig ist es auch zugänglich für ein breiteres Publikum. Czech schreibt klar und verständlich, ohne dabei die wissenschaftliche Tiefe zu vernachlässigen. Dies macht das Buch zu einer wertvollen Lektüre, nicht nur für Historiker, sondern auch für Menschen, die sich für die ethischen Fragen der Medizin und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus interessieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der in „Hans Asperger und der Nationalsozialismus“ zur Sprache kommt, ist die Frage, wie wir mit dem Erbe von Personen wie Asperger umgehen sollten. Ist es gerechtfertigt, seine medizinischen Leistungen, wie die Beschreibung des nach ihm benannten Syndroms, unabhängig von seinen Verstrickungen in die NS-Ideologie zu bewerten? Oder muss sein gesamtes Werk kritisch hinterfragt werden? Diese Fragen wirft Czech auf, ohne einfache Antworten zu geben. Gerade diese Ambivalenz macht das Buch so wertvoll. Für mich persönlich war die Lektüre dieses Buches eine wichtige Auseinandersetzung mit der Frage, wie wir heute mit den Verbrechen der Vergangenheit umgehen. Es hat mir gezeigt, wie schnell es gehen kann, dass wir historische Figuren idealisieren, ohne die ganze Wahrheit zu kennen. Gleichzeitig habe ich aber auch gelernt, dass es niemals zu spät ist, diese Wahrheiten zu erforschen und zu veröffentlichen, selbst wenn sie unbequem sind.
Zusammenfassend kann ich „Hans Asperger und der Nationalsozialismus: Geschichte einer Verstrickung“ jedem empfehlen, der sich für die deutsche Geschichte, Medizinethik und die Rolle der Wissenschaft im Nationalsozialismus interessiert. Czech hat hier ein Werk geschaffen, das sowohl inhaltlich als auch methodisch Maßstäbe setzt und das noch lange nach der Lektüre nachhallt.
Hans Asperger und der Nationalsozialismus
Hat mir besonders gefallen
- Das Buch basiert auf akribischen Archivforschungen und bietet neue, gut belegte Einblicke in Aspergers Verstrickungen mit dem NS-Regime.
- Czech demontiert das idealisierte Bild des „retterischen Arztes“ und beleuchtet die ethischen und moralischen Aspekte seiner Taten.
- Trotz des komplexen Themas bleibt die Sprache klar und zugänglich, was das Buch auch für Nicht-Historiker lesbar macht.
- Die Einzelschicksale der betroffenen Kinder werden eindrücklich beschrieben und machen das Buch besonders eindringlich.
- Die Thematik regt zu tiefergehenden Überlegungen über Verantwortung und Moral von Ärzten in totalitären Regimen an.