Die Briefe des Bernard Thorne (Korean Linguistics Lab)
März 2025
Die Briefe des Bernard Thorne ist ein psychologisches Horrorspiel, das auf einer traumatischen Geschichte basiert. Setz dich in Bernards Elektrorollstuhl und sieh dich im Haus des alten Mannes um. Entdecke die Narben seiner Vergangenheit…
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Entwickler: Korean Linguistics Lab
Genre: Psycho/Horror
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87%
Spielspaß 74%
Wiederspielbarkeit 82%
Langzeitmotivation 68%
Grafik 90%
Umsetzung |
Für mich steht fest: Die Briefe des Bernard Thorne ist kein Spiel, das man „durchspielt“ – es ist eines, das man erlebt, analysiert und verarbeitet. |

Die Briefe des Bernard Thorne
Als ich Die Briefe des Bernard Thorne zum ersten Mal startete, wurde mir sofort klar, dass dieses Spiel anders ist. Es ist kein klassisches Adventure, kein reines Puzzlespiel, sondern eine hybride Erfahrung – irgendwo zwischen Erzählung, psychologischem Horror und Rätselkonstruktion. Das Spiel schafft es, mit minimalistischer Mechanik und maximaler Atmosphäre ein Erlebnis zu kreieren, das lange nachhallt.
Inhaltlich dreht sich alles um eine Reihe geheimnisvoller Briefe, die vom verstorbenen Bernard Thorne stammen. Diese Briefe führen mich – den Spieler – durch eine düstere Gedankenwelt, in der die Grenze zwischen Realität, Erinnerung und Wahn zunehmend verschwimmt. Die Sprache ist dabei nicht nur Mittel zum Zweck, sondern ein zentrales Spielelement: Wörter, Phrasen und ihre Bedeutungen sind nicht nur Inhalte, sondern Spielmechaniken. Das macht Die Briefe des Bernard Thorne zu einem sprachlich dichten und intellektuell fordernden Erlebnis.
Atmosphärische Dichte statt Action
Was das Spiel so besonders macht, ist seine kompromisslose Fokussierung auf Stimmung und Atmosphäre. Es gibt keine hektischen Actionsequenzen, keine Quick-Time-Events, keine Sammelobjekte, die die Spielzeit künstlich strecken. Stattdessen wird ich in eine dichte, fast schon klaustrophobische Welt gezogen, die fast ausschließlich aus Texten, Audiofragmenten und subtilen visuellen Hinweisen besteht. Dabei erinnerten mich die Vibes manchmal an klassische „found footage“-Horrorfilme – nur eben als interaktives Sprachpuzzle.
Der Horror kommt schleichend. Er zeigt sich nicht durch Jumpscares, sondern durch das langsame Begreifen, was Bernard Thorne wirklich durchlebt hat – oder glaubt, durchlebt zu haben. Dabei spielt das Spiel bewusst mit Unzuverlässigkeit: Was ist real, was ist Wahn? Wer sagt die Wahrheit? Und wer bin ich in dieser Geschichte?
Anspruchsvolle Rätsel für Wortliebhaber
Die Rätsel in Die Briefe des Bernard Thorne sind nichts für zwischendurch. Wer gerne Wörter dekonstruiert, Bedeutungen entschlüsselt und symbolische Ebenen durchdringt, wird hier auf seine Kosten kommen. Das Spiel belohnt langsames, gründliches Denken. Ein Lexikon oder ein Hang zu Etymologie kann hier tatsächlich hilfreich sein – das ist selten in Videospielen.
Ein Beispiel: In einem Level musste ich Begriffe aus einem fiktiven Wörterbuch korrekt rekonstruieren, um den nächsten Briefabschnitt freizuschalten. Die Lösungen lagen dabei oft in kleinen sprachlichen Details oder Nuancen – eine Silbe zu viel, ein semantischer Bruch, und das Rätsel blockiert sich selbst.
Stilistisch minimalistisch, aber wirkungsvoll
Visuell ist das Spiel bewusst reduziert. Es setzt auf eine statische, aber stimmungsvolle Darstellung von Orten und Objekten – oft nur schemenhaft angedeutet, als würde man sich durch verwaschene Erinnerungen bewegen. Diese minimalistische Gestaltung hat mich stark an experimentelle Indie-Titel wie The Return of the Obra Dinn oder The Beginner’s Guide erinnert, wobei Die Briefe des Bernard Thorne deutlich düsterer und intimer daherkommt.
Der Soundtrack ist sparsam, aber punktgenau eingesetzt. Besonders gelungen fand ich die eingesprochenen Passagen, bei denen Bernard Thornes Stimme mal verzweifelt, mal zynisch, mal brüchig klingt. Die Akustik trägt enorm zur Atmosphäre bei – ein Spiel, das man am besten mit Kopfhörern spielt.
Wer ist Korean Linguistics Lab?
Das Entwicklerstudio Korean Linguistics Lab ist alles andere als ein gewöhnlicher Indie-Entwickler. Der Name lässt es bereits erahnen: Hier steckt ein Team dahinter, das sich leidenschaftlich mit Sprache, Bedeutung und Psycholinguistik beschäftigt. Ursprünglich als akademisches Projekt gestartet, hat sich das Studio darauf spezialisiert, sprachbasierte Erzählungen spielbar zu machen – oft mit einem starken Fokus auf psychologische Themen und experimentelle Erzählstrukturen.
Mit Die Briefe des Bernard Thorne ist ihnen ein Spiel gelungen, das diesen Anspruch perfekt verkörpert. Es ist mehr als ein Spiel – es ist eine interaktive Studie über Verlust, Erinnerung und die Macht der Sprache.
Keine leichte Kost – aber unvergesslich
Dieses Spiel wird nicht jedem gefallen. Wer auf direkte Belohnung, lineares Storytelling oder klassische Spielelemente hofft, könnte hier enttäuscht werden. Aber wer bereit ist, sich auf ein langsames, vielschichtiges und sprachlich intensives Erlebnis einzulassen, wird mit einem der originellsten Spiele des Jahres belohnt.
Die Geschichte hat mich auch nach dem Abspann noch beschäftigt – was wäre, wenn Bernard Thorne nicht verrückt war? Was, wenn seine Briefe wirklich gelesen werden mussten, um etwas zu verhindern? Und was bedeutet es, wenn man als Spieler zum letzten Empfänger dieser Nachrichten wird?
Für mich steht fest: Die Briefe des Bernard Thorne ist kein Spiel, das man „durchspielt“ – es ist eines, das man erlebt, analysiert und verarbeitet. Und vielleicht irgendwann wieder neu beginnt.