Der Wetiko-Wahn (Neue Erde)
September 2024
Der Wetiko-Wahn
Als ich „Der Wetiko-Wahn“ von Jack D. Forbes las, war ich sofort von der zentralen Idee des Buches fasziniert: Wetiko, ein Begriff aus der indigenen Kultur, beschreibt eine „Krankheit des Geistes“, die durch Gier, Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt geprägt ist. Forbes, ein amerikanischer indigener Historiker und Aktivist, setzt diesen Begriff als Metapher für die westliche Zivilisation ein, die sich durch Imperialismus, Kapitalismus und den rücksichtslosen Umgang mit der Natur und anderen Lebewesen auszeichnet. Besonders beeindruckt hat mich, wie tiefgehend Forbes diese Idee verwebt und sie mit historischen und kulturellen Beispielen untermauert.
Der Autor: Jack D. Forbes
Jack D. Forbes (1934–2011) war eine bedeutende Persönlichkeit in der US-amerikanischen indianischen Gemeinschaft. Als einer der Mitbegründer des American Indian Movement und als Doktor der Geschichte und Anthropologie war er stets bestrebt, die Perspektiven indigener Völker zu stärken. Forbes gilt als eine Schlüsselfigur in der zivilisationskritischen Bewegung. Sein Buch, ursprünglich unter dem Titel Columbus and Other Cannibals veröffentlicht, hat Aktivisten weltweit inspiriert, über die westliche Kultur und ihre zerstörerischen Einflüsse nachzudenken.
Die Hauptthemen des Buches
Forbes’ Werk greift ein breites Spektrum an Themen auf, die in der modernen westlichen Gesellschaft verankert sind. Er beschreibt, wie der westliche Imperialismus nicht nur menschliche Gesellschaften zerstört hat, sondern auch die Erde selbst in Mitleidenschaft zieht. Dabei sieht er die Wetiko-Persönlichkeit als krankhaft an: Menschen, die von der Gier und dem Verlangen nach immer mehr Besitz und Macht getrieben werden, verlieren ihre Menschlichkeit und Empathie.
Diese „Krankheit“ zeigt sich laut Forbes in der gesamten Geschichte der westlichen Zivilisation – vom Völkermord an den indigenen Völkern Nordamerikas über die Sklaverei bis hin zur heutigen Umweltzerstörung. Die Wetiko-Mentalität sieht andere Lebewesen nicht als gleichwertig an, sondern als Ressourcen, die man konsumieren und ausbeuten kann. Diese gnadenlose Ausbeutung führt zu einer globalen Katastrophe, die sich in Umweltzerstörung und sozialen Ungleichheiten zeigt.
Poetik und Kritik
Was mir besonders an Forbes‘ Schreibstil gefallen hat, ist die Kombination aus scharfer Analyse und poetischen, mythischen Bildern. Forbes nutzt indigene Mythen und Geschichten, um die Leser tiefer in die Problematik der Wetiko-Krankheit einzuführen. Diese Verbindung zwischen mythologischer Erzählkunst und politischer Analyse verleiht dem Buch eine besondere Tiefe und emotionale Wirkung.
Trotz der oft düsteren Themen gibt es in Der Wetiko-Wahn auch Hoffnung. Forbes spricht darüber, dass die Menschheit die Fähigkeit hat, sich zu ändern. Die Rückkehr zu einem empathischen, respektvollen Umgang mit der Natur und anderen Lebewesen könnte uns heilen. In dieser Hinsicht hat mich das Buch nicht nur intellektuell, sondern auch emotional bewegt.
Relevanz in der heutigen Zeit
Was mir an diesem Buch besonders auffällt, ist seine Aktualität. Obwohl es 1978 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, sind die Themen von Ausbeutung, Imperialismus und Umweltzerstörung heute relevanter denn je. Forbes‘ Analyse des „Kannibalismus der Erde“ passt erschreckend gut zu aktuellen Debatten über den Klimawandel, die Ausbeutung von Arbeitskräften in der globalen Wirtschaft und die unaufhaltsame Zerstörung natürlicher Lebensräume. Der Wetiko-Wahn, so zeigt es Forbes, ist kein Problem der Vergangenheit – er ist ein Problem der Gegenwart.
Persönlicher Eindruck
Nach der Lektüre von Der Wetiko-Wahn hat sich meine Sicht auf die Welt verändert. Forbes gelingt es, komplexe Zusammenhänge zwischen Geschichte, Psychologie und Kultur auf eine zugängliche und dennoch tiefgründige Weise darzustellen. Ich habe mich oft dabei ertappt, wie ich über meine eigene Rolle in der heutigen Konsumgesellschaft nachgedacht habe und welche Verantwortung jeder von uns trägt, um dieser „Wetiko-Krankheit“ entgegenzuwirken.
Das Buch ist nicht nur eine Anklage gegen den Westen, sondern auch ein Aufruf zur Selbstreflexion und zum Handeln. Wie Derrick Jensen im Vorwort schreibt: „Wenn das Buch Sie auch nur zu einem Zehntel so weit öffnet, wie es mich geöffnet hat, werden Sie nie wieder derselbe sein.“
Fazit: Ein Muss für kritische Denker
Wer sich für Themen wie Kolonialismus, Umweltzerstörung und soziale Gerechtigkeit interessiert, wird in Der Wetiko-Wahn ein unverzichtbares Werk finden. Forbes gelingt es, uns den Spiegel vorzuhalten und uns zu zeigen, welche Folgen unser Lebensstil für den Planeten und die Menschheit hat. Es ist ein Buch, das man nicht nur liest, sondern auch verinnerlicht. Die Frage, die uns bleibt, lautet: Können wir uns von der Wetiko-Krankheit heilen?