Der Puma (Blanvalet Verlag)
Juli 2025
Ein Puma schleicht durch Colorado
Schon die erste Szene packt dich am Kragen: Ein Busbahnhof, ein Stoß, ein knirschender Aufprall. Jack Reacher ist zufällig Zeuge, wie eine Frau in Gerrardsville, Colorado, vor einen fahrenden Bus gestoßen wird – ein Mord als Startschuss. Natürlich stürzt Reacher hinterher, natürlich lässt er nicht los. Und natürlich ist die Tat nur die Lunte an einem größeren Pulverfass. Genau dieses Gefühl von „Reacher stolpert in etwas Großes“ ist der Motor von „Der Puma“, dem 27. Band der Reihe, in dem Lee Child gemeinsam mit seinem Bruder Andrew Child wieder am bewährten Mythos schraubt – kantig, stoisch, mit Fäusten und Köpfchen. Die deutsche Ausgabe erschien im Blanvalet Verlag, Übersetzung: Wulf Bergner, Umfang etwa 416 Seiten, Veröffentlichung 23. Juli 2025. Das Original trägt den Titel „No Plan B“ – und der ist programmatisch.
Worum es wirklich geht
Der Busbahnhof ist nur die Eingangstür. Dahinter: ein Netz aus Macht, Geld und Skrupellosigkeit, das bis in eine hochgesicherte Privat-Gefängniswelt reicht. Reacher merkt schnell, dass die Täter Zeugen „bereinigen“ und eine Operation schützen, die keine Fehler toleriert. Wer stört, wird entfernt – endgültig. Die englischsprachige Serienseite fasst das trocken zusammen: eine Verschwörung mit vielen Zahnrädern, in der Reacher zum Sandkorn wird, das alles blockiert. In der deutschen Vermarktung klingt das ähnlich: Die Täter eliminieren jeden, der ihre Aktivitäten gefährdet – doch mit Reacher haben sie nicht gerechnet. Klingt nach klassischem Reacher? Genau so fühlt es sich auch an.
Spannend: Einige Besprechungen heben die Minerva-Gefängniskulisse hervor – ein moderner, nahezu unangreifbarer Komplex, der für Reacher zum Schachbrett wird. Die Schwachstelle? Nicht Beton und Stacheldraht, sondern die Menschen, die das System betreiben. Diese Grundidee – den Gegner nicht frontal, sondern an der Peripherie anzugehen – verleiht der Handlung Punch und Struktur.
Tempo & Takt: Wo der Roman glänzt
Wenn die Story Fahrt aufgenommen hat, spürst du das Reacher-typische Schlag-auf-Schlag-Erzählen: kurze Kapitel, klare Bewegungen, präzise Gewalt. Eine größere Katzen-und-Maus-Dynamik entsteht: Verfolger und Verfolgte tauschen Rollen, Informationströpfchen fallen wie Brotkrumen, und immer wieder ein Schlagabtausch, der mehr ist als bloßes Dreschen – nämlich Taktik. Das bestätigt auch ein ausführlicher Krimi-Blog: Reacher als Wanderer in Sachen Gerechtigkeit, der Rätsel knackt und Knochen gleich mit – altmodisch ehrlich, aber nicht antiquiert. Das liest sich dann wie ein vertrauter Rocksong: Du kennst die Riffs, aber der Bass drückt noch ordentlich.
Zudem hält der Roman, was das Branding verspricht: „Book 27“ in einer Serie, die auf Verlässlichkeit setzt. Wer Reacher aufschlägt, erwartet nicht literarische Revolution, sondern handwerkliche Spannung, robuste Ermittlungslogik und physische Konsequenz. Die bibliografischen Daten – Autorenduo Lee & Andrew Child, Übersetzung Bergner, Blanvalet – signalisieren genau dieses Paket.
Die Sollbruchstellen: Wenn Routine zur Kerbe wird
Doch es gibt Risse. Manche Leser:innen und Rezensent:innen empfinden „Der Puma“ als glattpolierte Routine, der der frühere Charme fehlt: Reacher als „Heldenhülle“, Gegner als Pappkameraden, die Action vorhersehbar – so das harsche Urteil eines (kritischen) Shop-Texts. Andere zeigen sich generell enttäuscht: zu spät komme Bewegung in die Geschichte, zu dünn seien die Figuren. Diese Stimmen sind keine Ausreißer, sondern begleiten die Reihe seit der Staffelstab-Übergabe an Andrew Child – der Ton ist vertraut, aber das Timbre hat sich verschoben.
Und doch: Parallel existieren positive Rezensionen, die genau das loben, was die Skeptiker stört – nämlich das hochoktane, geradeaus erzählte Thrillerhandwerk. Ein Feature-Text spricht von „Hochspannung pur“, von einem perfiden Schlagabtausch, der die Serie in ihrem Kern liefert, was die Fans lieben: klare Fronten, wuchtige Szenen, kein überflüssiger Schnörkel. Reacher bleibt Reacher, und der Leser bleibt am Haken.
Sprache & Übersetzung: Knochentrocken mit Restglanz
Sprachlich bleibt „Der Puma“ bei der knochentrockenen, effizienten Prosa, die diese Reihe groß gemacht hat: kurze Sätze, direkte Beobachtungen, messerscharfe Verben. Wulf Bergners Übersetzung trägt das unspektakulär, aber sicher – was ein Kompliment ist. Die Dialoge sitzen im Deutschen hart und unverschnörkelt, die Schläge tun weh, und wenn Reacher rechnet, spürst du sein inneres Metronom. Wer eine blumige Stilistik erwartet, greift zur falschen Serie; wer Klartext will, ist hier zu Hause. (Und ja, man merkt die Andrew-Note: die Taktung ist minimal anders, das Herz etwas kühler.)
Thema & Aktualität: Privatknäste, Macht, Zynismus
Thematisch dockt der Roman an zeitgenössische Diskurse um private Gefängnisse und die Ökonomie von Strafe und Profit an. Das Setting wirkt nicht nur wie Bühnenbild, sondern wie Kommentar: Wenn Menschen zu Zahlen und Risiken werden, ist Gewalt kein Unfall, sondern Kalkül. Das macht „Der Puma“ – bei aller Reißbrettaction – relevanter, als es die Schlägereien ahnen lassen. Die offizielle Buchseite der Reihe betont die „Conspiracy with many moving parts“; hier greift der Roman spürbar in den Maschinenraum moderner Thrillerpolitik.
Für wen lohnt sich das?
Wenn du Reacher seit Jahren liest, bekommst du genau die Mischung, die dich immer wieder zurückkehren lässt: ein eigenwilliger Einzelgänger, moralischer Kompass nach Norden, Fäuste als Interpunktionszeichen. Wenn du neu einsteigst, findest du einen soliden, zupackenden Actionthriller mit brisantem Hintergrund – allerdings ohne die Wärme und den hintergründigen Witz der besten frühen Bände. Wer Charakterentwicklung und psychologische Tiefe sucht, wird knurren. Wer Pace, Plot und Punch sucht, nickt zufrieden.
Ausstattung & Auftritt
Die Blanvalet-Hardcover-Präsentation mit ca. 416 Seiten ist wertig, das Cover im bekannten, markanten Serienlook – dunkel, konzentriert, signalstark. Illustrationen? Keine, wie in der Reihe üblich. Für Sammler ist die deutsche Veröffentlichung (Juli 2025) sauber in die Reihe einsortiert; die bibliografischen Einträge bestätigen die Eckdaten.
Fazit: Ein Puma, der zischt – aber nicht immer zubeißt
„Der Puma“ ist verlässliches Reacher-Futter: schnell, hart, schnörkellos. In seinen besten Momenten fühlt es sich an, als würdest du bei voller Fahrt die Tür eines Pickup aufreißen – der Wind pfeift, der Asphalt rennt, und du klammerst dich grinsend fest. In seinen schwächeren Momenten wirkt der Roman wie eine Blaupause, deren Ecken man schon zu oft nachgezogen hat. Unterm Strich: ein solider, moderner Serienbeitrag, der Fans bedient und Neulingen zeigt, wie Reacher heute tickt – nur nicht der große Wurf, der die Reihe neu entzündet.