Außer Konkurrenz: Autistisch sein (edition assemblage)
August 2024
Außer Konkurrenz: Autistisch sein
Das Buch Außer Konkurrenz: Autistisch sein von Constanze Schwärzer bietet einen außergewöhnlichen und intimen Einblick in das Leben einer autistischen Frau. Auf 152 Seiten beschreibt die Autorin in autofiktionalen Episoden 41 alltägliche Handlungen, die sich für viele Menschen normal anfühlen, für sie als autistische Person jedoch mit ganz eigenen Herausforderungen und besonderen Erlebnissen verbunden sind. Diese Darstellung lässt den Leser die neurodivergente Wahrnehmung und Erlebensweise besser verstehen und nachvollziehen.
Die Autorin, die auch als Paarberaterin für neurodiverse Paare tätig ist, thematisiert in diesem Buch nicht nur ihre eigene Lebensrealität, sondern stellt eine tiefere Frage: Was ist tatsächlich „autistisch“ an ihrem Verhalten und Erleben, und was sind Reaktionen auf Traumata und Ausgrenzungen, die durch gesellschaftliche Normen und Erwartungen entstehen? Damit regt sie zum Nachdenken an über die komplexe Beziehung zwischen individueller Neurodivergenz und gesellschaftlicher Anpassung.
Schreibstil und Struktur
Schwärzers Schreibstil ist direkt und ungeschönt, gleichzeitig voller Liebe zum Detail. In einem erzählerischen Mix aus Monolog, Infodumping und sensorischen Beschreibungen erschafft sie eine Form des Erzählens, die tief in ihre Gedankenwelt eintauchen lässt. Manchmal fast wie ein innerer Monolog, der ohne den üblichen Filter einer „lesbaren“ Geschichte auskommt, führt Schwärzer uns durch ihre Welt. Es ist ein Buch, das sich nicht immer leicht konsumieren lässt, aber gerade dadurch eine unverwechselbare Tiefe erreicht.
Wer sich auf den ungewöhnlichen Erzählstil einlässt, wird mit einem ehrlichen und ungeschönten Blick auf das Leben einer autistischen Frau belohnt. Die Kapitel bestehen aus kurzen Szenen, die oft ohne klare Trennung oder Schluss auskommen, was eine Nähe zur Realität schafft – denn das Leben selbst folgt selten einer klaren Erzählstruktur.
Themenvielfalt und Perspektiven
Ein zentrales Thema des Buches ist die Frage, was es bedeutet, „autistisch zu sein“. Schwärzer zeigt, dass autistische Menschen nicht den gängigen Stereotypen entsprechen. Sie führt uns durch alltägliche Aktivitäten wie Einkaufen, Kochen oder zwischenmenschliche Interaktionen, die von sensorischen Überlastungen, Hyperfokussierung und spezifischen Interessen geprägt sind.
Besonders beeindruckend ist, wie Schwärzer es schafft, diese Tätigkeiten so zu schildern, dass der Leser sich selbst fragt, wie unterschiedlich Menschen die Welt wahrnehmen. Der sensorische Genuss, den sie bei alltäglichen Dingen empfindet, steht im Kontrast zur Überforderung durch Reize, die für neurotypische Menschen unsichtbar sind. Diese authentische Darstellung zeigt auf, wie das Leben in einer Welt, die nicht auf neurodivergente Menschen zugeschnitten ist, oft als herausfordernd empfunden wird.
Über die Autorin
Constanze Schwärzer ist Autistin und zertifizierte Paarberaterin für neurodiverse Paare. In ihrer Arbeit als Beraterin bringt sie ihr tiefes Verständnis für die Besonderheiten von neurodiversen Beziehungen ein. Außer Konkurrenz ist ihr erstes Buch, und sie nutzt ihre eigenen Erfahrungen, um einen einzigartigen und persönlichen Zugang zum Thema Autismus zu schaffen. Ihre Kombination aus Fachwissen und persönlichem Erleben macht sie zu einer wichtigen Stimme in der neurodivergenten Community.
Fazit: Ein Buch, das nachklingt
Außer Konkurrenz: Autistisch sein ist kein Buch, das man schnell liest und wieder vergisst. Es ist vielmehr ein Werk, das nachdenklich macht, neue Perspektiven eröffnet und dazu einlädt, das eigene Verständnis von Autismus und Neurodivergenz zu hinterfragen. Der Leser wird herausgefordert, sich auf Schwärzers einzigartige Erzählweise einzulassen und sich in eine Welt einzufühlen, die oft unsichtbar bleibt.
Für jeden, der sich für Neurodivergenz, Autismus und die Frage nach dem „Anderssein“ interessiert, ist dieses Buch eine absolute Empfehlung. Es zeigt auf ehrliche Weise, dass autistisches Leben nicht einfach nur „anders“ ist, sondern eine ganz eigene Form der Wahrnehmung und des Erlebens darstellt, die gefeiert und verstanden werden sollte.