Schottland, meine Sehnsucht (edition karo)
August 2025
Ein Hauch von Magie im Nebel
Stell dir vor, du steigst auf einen schottischen Pass, spürst den Wind wie ein altes Flüstern an dir vorbeiwehen, als hätten Königinnen und Krieger ihre Fußspuren gerade erst hinterlassen – und plötzlich merkst du: Ihre Geschichte pulsiert weiter, verborgen unter lila Heidekraut, doch lebendig im Stein der Highlands. Genau dieses Gefühl fängt Nicola de Paoli ein: Sie lässt dich spüren, mit jedem Atemzug, mit jeder Seite.
Das Buch ist kein Sammelsurium von Tips, es ist ein Sehnsuchtsfunke, der glimmt, sobald du die erste Seite öffnest. Die Autorin zieht dich nicht mit Listen, sondern mit Bildern, mit Stimmen – sie lädt dich ein, durch Nebel zu wandern, Whisky-Destillerien zu hören, den funkelnden Blick gälischer Sagenwesen zu spüren. Man fühlt die schroffe Moorlandschaft ebenso wie die Wärme in einem kleinen Pub, in dem ein „Glasgow Kiss“ sich wie ein Versprechen anfühlt – raubeinig, aber echt. Dieser Sog geschieht, ohne dass man irritiert innehält – und schon bald bist du selbst sehnsüchtig, bereit zur Reise.
Im Rhythmus der Landschaft
Die Erzählung fließt wie ein stiller Strom durch die Landschaften: Edinburghs verwinkelte Altstadt klingt wie ein altehrwürdiger Chor, Inverness – weniger bekannt, aber umso verführerischer – offenbart sein raues Herz. Die Hebrideninseln, die Highlands, die Lowlands – jede Region atmet anders, aber bleibt doch verwebt im keltischen Band, das sich durch das Buch zieht.
Und tatsächlich erwähnen verschiedene Quellen, dass de Paoli durch Highlands und Lowlands reist, sowohl die Hebriden erkundet als auch sich von der sprichwörtlichen Freundlichkeit der Bewohner verzaubern lässt – kurzum: Sie begegnet nicht Orten, sondern Menschen, denen Schottland mehr ist als Kulisse. Diese Erzählhaltung erzeugt einen Rhythmus, der sich nicht an Kapitelzahlen, sondern an Empfindungen orientiert – und genau darin steckt die besondere Kraft dieses Buches.
Inhaltliche Tiefe – ohne dick aufzutragen
Mit 144 Seiten (manche Quellen sprechen auch von etwa 140 und 138 Seiten) ist der Umfang schlank. Aber gerade darin liegt die kunstvolle Knappheit: De Paoli setzt keine Überdosis, sondern wählt, was wirkt. Jede Begegnung, jede Geschichte sitzt – ohne Kitsch, ohne Aufgesetztheit. Sie lässt Mythos und Gegenwart einander gegenüberstehen, ohne erhobenen Zeigefinger, eher wie Spiegelbilder: die Spuren keltischer Legenden, die in den Mauern von Edinburgh hallen, und die stillen Menschen, die heute dort leben und Atmen. Und am Ende der Rundreise, oder besser: des lyrischen Spaziergangs, spürst du: Du bist angekommen – aber lieber noch einmal losmarschiert.
Atmosphäre statt Reiseführer – ein bewusstes Wagnis
Das Buch verzichtet bewusst auf alles, was man in klassischen Reiseführern erwartet. Keine „besten Pubs“ nach Stadtteilen, keine Öffnungszeiten und keine Tipps für den perfekten Selfie-Hotspot. Stattdessen lässt es dich durch Stimmungen wandeln – mit Mythos als Kompass, mit Menschlichkeit als Weggefährtin. Dieser Ansatz ist ein Wagnis – aber es geht auf. Der „Appetitmacher“, wie eine Rezension es treffend nannte, wirkt. Du bist nicht erschlagen, du bist entfacht.
Flüstern und Rauschen in Sprache
De Paoli hat ein Gespür dafür, wie man erzählt, ohne zu erklären. Der Ton ist leise, aber bestimmend. Wenn sie vom rauen Charme Edinburghs spricht oder den „Glasgow Kiss“ erwähnen lässt, merkst du: Hier sitzt eine Autorin, die ihr Terrain kennt – und dich liebevoll daran teilhaben lässt. Ein bisschen britischer Humor, eine Prise Journalismus gepaart mit Jura-Disziplin – und fertig ist der magische Cocktail, der dich umweht.
Im Kern bleibt es authentisch. Der Satz, dass man nach reichlich 130 Seiten nicht gesättigt, sondern „sehnsüchtig nervös“ ist, auf eigene Abenteuer zu gehen, beschreibt genau diese Wirkung. Vielleicht ist das schönste Kompliment, das man einem Reisebuch machen kann: Dass es dich nicht satt, sondern hungrig zurücklässt, und zwar auf das Schottland, das hinter den Klischees wartet.
Fazit – Eine Einladung, kein Kompendium
Nicola de Paolis „Schottland, meine Sehnsucht“ ist kein Reiseführer, sondern ein Reiseschlüssel für die Seele Schottlands. Ganz ohne Aufzählungen, ohne überladenes Bildmaterial – dafür mit dem Herz in jedem Satz. Du spürst den Boden unter deinen Füßen, den Wind im Gesicht, den Funken in der Luft, lange bevor du die erste Stadt erreichst. Und genau deshalb will man anschließend die Jacke schnappen und losziehen – mit diesem Buch in der Tasche, als Wegbegleiter und innerer Weckruf zugleich.