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Waren Sie nicht mal Lilo Wanders?

Waren Sie nicht mal Lilo Wanders? (Goldmann Verlag)

September 2025

Deutschlands wa(h)re Liebe: Lilo Wanders! Doch wer ist Lilo, wenn sie nicht Lilo ist? Ernie Reinhardt!
Autor: Ernie Reinhardt
Genre: Biografie
92%
Umfang
91%
Schreibstil
94%
Thema
90%
Lesbarkeit
88%
Buchcover
87%
Illustrationen
Eine Autobiografie mit Resonanz.


91%

Wer steht hinter der Diva?

Es ist ein mutiger Schritt, wenn jemand, der seit Jahrzehnten das Rampenlicht teilt – teils provoziert, teils beruhigt – nun das Mikrofon auf sich selbst richtet. Ernie Reinhardt tut genau das in dieser Autobiografie. „Waren Sie nicht mal Lilo Wanders?“ ist nicht einfach eine Sammlung von Anekdoten über die Travestiefigur Lilo Wanders; es ist der Versuch, hinter die Bühnenmaske zu schauen, Licht und Schatten gleichermaßen zu beleuchten – ganz im Sinne dessen, was Reinhardt selbst ist: Künstler, Aufklärer, Mensch mit Fehlern, Träumen, Ängsten und einer Geschichte, die nicht nur Glanz hat.

Das Buch begleitet Reinhardt auf seinem Weg: von der Kindheit in der niedersächsischen Provinz, durch die Einsamkeit und die Selbstzweifel, über die Erfahrungen schwuler Jugend und sexueller Identität bis hin zum Entdecken der Bühne, des Travestie-Theaters und schließlich zur Kultfigur Lilo Wanders. Dabei zeigt sich eine Person, die nicht das Rampenlicht gesucht hat, sondern die Bühne gefunden hat – als Zuflucht, als Stimme, als Ausdruck dessen, wer sie ist.

Aufwachsen, Anderssein, Anfänge

Reinhardts Kindheit war geprägt von Widersprüchen. In eine Umgebung hineingeboren, in der Regeln schweigen lassen und Anpassung oft verlangt wird, spürt man, wie tief das Bedürfnis nach Sichtbarkeit, nach eigener Identität saß. Er erzählt von Verlust, von emotionaler Kälte, von Armut – all das sind Bausteine einer Geschichte, die nicht heroisch, sondern verletzlich ist. Und gerade das macht sie stark. Denn der Weg, den Reinhardt später einschlägt, war kein glatter Erfolgspfad, sondern einer mit Stolpersteinen, Rückschlägen, Zweifeln.

Hamburg wird zur Bühne – nicht nur im Theater, sondern im Leben. Die Schwulenszene, der Aktivismus, das Entdecken neuer Rollen und Räume, in denen man sein darf, wie man ist. Und dann diese große Figur: Lilo Wanders. Von Anfang an eine Provokation, eine Figur, die Grenzen testet, in der Öffentlichkeit agiert, die unterhält – und aufklärt. Reinhardt beschreibt, wie Lilo Wanders entstanden ist – erst als Karikatur, später als komplexe, warme Figur, ein Teil von ihm – und wie viel Mut und Risiko darin stecken, sich so zu zeigen.

Licht und Schatten – Kampf um Selbstwert und Sichtbarkeit

Man merkt bei jeder Seite, dass Reinhardt auch die Schatten akzeptiert. Suizidversuch mit 18 Jahren, das lange Ringen mit dem Anderssein, mit dem Gefühl, nicht geliebt zu sein, mit der Einsamkeit. Aber auch mit der Scham, mit dem öffentlichen Urteil, mit der Distanz zwischen dem Bild, das Leute sehen, und dem Menschen, der hinter der Maske steht.

Gleichzeitig leuchten die Momente, in denen das Publikum applaudiert, in denen Aufmerksamkeit, Anerkennung, Kunst sichtbar werden. Die Bühnenauftritte, die Sendungen, die Begegnungen mit Menschen, die Reinhardt sehen und anerkennen – all das wird nicht verklärt, aber doch mit Dankbarkeit reflektiert. Es sind diese kontrastreichen Momente – zwischen Schmerz und Jubel, zwischen Zweifel und Ausdruck –, die dem Buch Tiefe verleihen.

Der Stil – persönlich und offen

Reinhardt schreibt nicht theoretisch, sondern erzählerisch. Die Sprache ist offen, oft schlicht, manchmal spürbar rührend. Er übertreibt nicht, beschönigt nicht – und das macht den Eindruck, dass man einer menschlichen Stimme lauscht, nicht einem Performer, der sich selbst inszeniert. Er reflektiert über sein Leben, über Entscheidungen, über Fehler; manchmal scheint er unsicher, manchmal selbst überrascht, wie sich sein Leben entwickelte.

Manchmal wirkt das Tempo etwas ungleich – manche Kapitel ziehen sich, andere sind knapp und wirken fast wie Skizzen. Aber das gehört dazu, denn Leben ist kein gleichmäßiger Strom, sondern ein Wechsel von Tagen, in denen viel zu sagen ist, und Tagen, in denen man einfach wahrnehmen muss.

Bildteil und Ausstattung

Das Buch hat einen farbigen Bildteil, was dem Ganzen eine visuelle Tiefe gibt. Fotos aus Kindheit und Jugend, Bühnenaufnahmen, Szenen, in denen man die Persona Lilo Wanders sieht – sie funktionieren wie Pinselstriche auf einer Leinwand, die zeigen, wie die Figur gewachsen ist, welche Kostüme, welcher Glamour, welche Maskerade und hinter welcher Maske welcher Mensch steht. Das Layout unterstützt das Lesen gut: nicht überladen, aber präsent genug, damit man sich erinnert, dass es nicht bloß Worte sind, sondern ein Leben mit sichtbaren Facetten.

Warum dieses Buch wichtig ist

Es ist selten, dass eine Person wie Reinhardt – bekannte Aufklärerin, Kulturfigur, Provokateurin und Entertainerin – so offen spricht. Dieses Buch bietet keine Show-Szene, sondern Einblicke. Ein Rückzug hinter die Glamour-Fassade, um zu zeigen: Hier bin ich auch verwundbar. Wer sich fragt, was Travestie bedeutet, was öffentliche Rollen kosten, was Kunst bewirken kann – findet hier Antworten. Wer sich für LGBTQ-Geschichten interessiert, für Identität, für die Spannung zwischen Maske und Selbst – findet auch hier Tiefe.

Und: Es ist ein Buch über Zeit, über Wandel. Über Jahrzehnte, in denen Gesellschaft sich verändert hat, Meinungen sich verschoben haben, Tabus gebrochen wurden – und darüber, wie jemand in diesen Wandel hineingewachsen ist, aber nicht ohne Narben.

Fazit – Eine Autobiografie mit Resonanz

„Waren Sie nicht mal Lilo Wanders?“ ist kein Jubelgesang, aber auch kein Klageroman. Es ist ein lebendiges Porträt eines Künstlers, der Bühnenfigur und Mensch zugleich. Ein Buch, das zeigt, wie man sein Leben gestaltet, trotz Unsicherheit, trotz Vorurteilen, trotz innerer Schatten. Es ist ehrlich, stark, mit Momenten der Wehmut und Momenten des Triumphs. Nach dem Lesen fühlt man sich bereichert – nicht nur durch Geschichten, sondern durch ein Beispiel, wie man sich treu bleibt, wenn man Bühnenlicht und Öffentlichkeit teilt.

Mediennerd
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Medienproduzent/Blogger, Katzenliebhaber und 1. FC Köln Fan im hohen Norden. Mit meiner Berufs- und Lebenserfahrung teste und vermarkte ich seit 2009 Produkte aller Art. Sie erhalten immer ein ehrliches Feedback.
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