UND STATT ODER (Braumüller Verlag)
September 2024
UND STATT ODER
In seinem neuesten Werk, „UND STATT ODER: Ermunterung zu einer Debattenkultur in Grautönen“, zeigt der Autor Hans Bürger, wie tief sich die Polarisierung und das Schwarz-Weiß-Denken in unsere gesellschaftlichen Debatten eingeschlichen haben. Was mich an diesem Buch besonders fasziniert hat, ist die Art und Weise, wie Bürger einen einfachen, aber doch so mächtigen Gedanken vorschlägt: den Schritt weg von einem „Entweder-Oder“ hin zu einem „Und“. Dies ist mehr als nur ein sprachliches Experiment; es ist ein Aufruf, das eigene Denken und Diskutieren zu überdenken.
Die Dringlichkeit des Themas
Die Grundidee des Buches ist aktueller denn je. Die sozialen Medien, so beschreibt es Bürger, haben in vielerlei Hinsicht zur Verstärkung der Spaltung beigetragen. In einer Zeit, in der Empörung und Hass in Online-Diskussionen dominieren, wird die Kunst des Zuhörens und der Toleranz gegenüber anderen Meinungen immer mehr verdrängt. Bürger beschreibt, wie dies zu einem Lagerdenken führt, das von Unversöhnlichkeit geprägt ist. Als Leser fühlte ich mich sofort angesprochen, weil ich diese Entwicklung selbst beobachte: Wir suchen immer häufiger nach Bestätigung unserer eigenen Ansichten, anstatt offen für einen Dialog zu sein.
Hans Bürger, geboren 1962 in Linz, ist vielen bekannt als renommierter Journalist beim ORF, wo er über Jahrzehnte hinweg in der politischen Berichterstattung tätig war. Seine langjährige Erfahrung in der Medienwelt spiegelt sich in jedem Kapitel wider. Was ihn besonders qualifiziert, über Debattenkultur zu schreiben, ist seine Rolle als Moderator und Kommentator politischer Diskussionen. Dadurch gewinnt das Buch an Tiefe, da Bürger nicht nur theoretisch argumentiert, sondern auch aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpft.
Die Idee des Grautons
Ein weiterer zentraler Punkt im Buch ist die Metapher der Grautöne. Bürger fordert dazu auf, zwischen den extremen Polen zu denken. Dabei zeigt er auf, wie viele Themen – sei es die Flüchtlingskrise, die Pandemie oder die Debatten um sexuelle Identitäten – nicht in klare Schwarz-Weiß-Kategorien passen. Vielmehr liegen die Antworten oft irgendwo dazwischen. Diese Idee fand ich besonders überzeugend, weil sie uns zwingt, unsere eigene Position zu hinterfragen und nach möglichen Kompromissen zu suchen, anstatt sofort in den Widerstand zu gehen.
Verständlichkeit und Stil
Was den Schreibstil betrifft, ist Bürger klar und prägnant. Er verwendet keine komplizierten Fachbegriffe, sondern schreibt auf eine Weise, die für ein breites Publikum zugänglich ist. Das Buch ist relativ kurz, mit knapp über 140 Seiten, aber es gelingt ihm, seine Ideen auf den Punkt zu bringen, ohne sie unnötig in die Länge zu ziehen. Dies machte es für mich zu einer schnellen, aber dennoch bereichernden Lektüre.
Kritik: Könnte tiefer gehen
Ein Punkt, den ich als leicht kritisch empfand, ist die relative Kürze des Buches. Während Bürger die Probleme unserer gegenwärtigen Debattenkultur klar identifiziert, bleiben einige seiner Lösungsvorschläge an der Oberfläche. Ich hätte mir gewünscht, dass er an manchen Stellen noch tiefer in die Analyse einsteigt und konkrete Schritte aufzeigt, wie wir als Gesellschaft diesen „Grautönen“ Raum geben können. Die Idee des „UND“ ist zwar inspirierend, aber wie sie in der Praxis umgesetzt werden kann, wird nur teilweise angeschnitten.
Fazit: Ein Weckruf zur richtigen Zeit
Alles in allem bietet „UND STATT ODER: Ermunterung zu einer Debattenkultur in Grautönen“ eine wertvolle Reflexion über den Zustand unserer öffentlichen Diskurse. Hans Bürger schafft es, den Leser zum Nachdenken anzuregen und gleichzeitig praktische Denkanstöße zu geben. Wer sich für das Thema Polarisierung und die Zukunft unserer Debatten interessiert, findet in diesem Buch eine spannende und vor allem notwendige Lektüre. Es mag keine endgültigen Antworten liefern, aber es zeigt uns den Weg, wie wir diese Antworten gemeinsam finden können – nämlich durch mehr „Und“ und weniger „Oder“.