Scharnhorst und Gneisenau (Motorbuch)
Juni 2025
In den Schatten der Giganten – eine visuelle Reise durch das Herz der deutschen Kriegsmarine
Wenn man sich mit der deutschen Kriegsmarine des Zweiten Weltkriegs befasst, führen früher oder später alle Wege zu zwei Namen, die wie Donnerhall durch die Chroniken hallen: Scharnhorst und Gneisenau. Diese beiden Schlachtschiffe – halb Mythos, halb Realität – stehen sinnbildlich für eine Epoche der Seefahrt, in der Ehre, Technik und Tragödie untrennbar miteinander verwoben waren. Holger Nauroth hat sich mit seinem Werk „Scharnhorst und Gneisenau: Die Bildchronik 1939–1945“ aufgemacht, diese Geschichte nicht in erster Linie zu erzählen, sondern sie sichtbar zu machen.
Wer dieses Buch aufschlägt, betritt keinen nüchternen Dokumentenraum voller Tabellen und technischer Daten, sondern eine Art schwimmendes Museum, das in Momentaufnahmen eingefroren wurde. Es ist ein Werk für Augenmenschen, für Sammler, für historisch Interessierte – und für alle, die bereit sind, sich auf eine sehr spezielle Form der Geschichtsschreibung einzulassen.
Die Seele in Bildern – der Aufbau des Buches
Bereits der erste Eindruck lässt erkennen, dass es sich bei diesem Buch nicht um einen klassischen historischen Abriss handelt. Nauroth verzichtet weitgehend auf lange Fließtexte und überlässt stattdessen den Fotografien die Bühne. Die chronologische Ordnung der Bilddokumente erzeugt eine Erzählung, die sich aus dem Wechselspiel von Bild und kurzer Bildunterschrift entfaltet. Der Autor kommentiert knapp, aber präzise – und überlässt dem Leser damit den nötigen Freiraum, sich selbst in die Geschichte hineinzuversetzen.
Was dabei besonders ins Auge sticht: Die Fotografien stammen zu einem überwiegenden Teil aus Archiven oder privaten Sammlungen und wurden zum Teil bisher nur selten veröffentlicht. Diese Exklusivität verleiht dem Buch nicht nur Authentizität, sondern auch einen beinahe musealen Wert. Man hat das Gefühl, durch die Seiten eines geheimen Albums zu blättern, das Jahrzehnte im Verborgenen lag.

Menschen, Maschinen, Momente – was das Buch zeigt
Inhaltlich konzentriert sich das Werk auf die militärische Laufbahn der beiden Schiffe von 1939 bis 1945, also exakt auf den Zeitraum ihres aktiven Einsatzes im Krieg. Dabei verzichtet Nauroth klugerweise auf ausschweifende politische Einordnungen oder moralische Bewertungen – was nicht bedeutet, dass das Buch unkritisch ist. Es ist schlicht ein anderer Ansatz: Die Fotografien zeigen die Realität der Schiffe, die Enge der Mannschaftsräume, das technisch beeindruckende Geschütz, die Rauheit des Atlantiks – aber auch Verwundete, zerstörte Decks und die bedrückende Stille nach einer Schlacht.
Der Fokus liegt klar auf den Schiffen als technische und taktische Einheiten, nicht auf ihren Einsätzen als Werkzeuge eines verbrecherischen Regimes. Diese Trennung gelingt nicht jedem Werk der Militärgeschichte, aber Nauroth manövriert gekonnt zwischen Historie und Humanität. In den Gesichtern der Seeleute, in den winzigen Details am Rande der Aufnahmen – eine Zigarette in der Hand, ein neugieriger Blick, ein improvisiertes Bordfest – liegt mehr Geschichtsbewusstsein als in manch hochtrabender Abhandlung.
Ein Lob auf das Reduzierte – Stil und Sprache
Nauroths Schreibstil ist bewusst zurückgenommen. Die Texte bestehen größtenteils aus knappen Beschreibungen, technischen Informationen und gelegentlich erklärenden Anmerkungen zu Einsatzorten, Daten oder Kommandostrukturen. Dabei kommt nie Langeweile auf – im Gegenteil: Gerade weil die Sprache so klar und schnörkellos ist, wirken die Bilder umso eindrucksvoller. Der Leser wird nicht belehrt, sondern begleitet. Diese redaktionelle Zurückhaltung ist ein kluger Schachzug – und dürfte vor allem jenen gefallen, die sich bereits ein gewisses Vorwissen über die Kriegsmarine erarbeitet haben.
Für wen ist dieses Buch?
Wer sich eine tiefergehende Analyse der Seekriegsstrategie, politische Zusammenhänge oder umfangreiche technische Zeichnungen erhofft, wird hier möglicherweise enttäuscht sein. Dieses Buch ist keine Enzyklopädie und auch kein wissenschaftliches Standardwerk – es ist eine Chronik, ein visuelles Zeitdokument, das in erster Linie auf emotionaler und ästhetischer Ebene funktioniert.
Für Modellbauer, Marinehistoriker, Sammler und Kriegsgeschichtsinteressierte ist es hingegen ein echter Schatz. Man kann sich in den Bildern verlieren, Details entdecken, stundenlang blättern – oder es einfach immer wieder zur Hand nehmen und darin eintauchen wie in ein altes Familienalbum.

Das Auge isst mit – Buchcover und Illustrationen
Das Cover des Buches ist schlicht, aber stimmig. Es zeigt – wenig überraschend – eines der namensgebenden Schlachtschiffe in voller Fahrt, flankiert von grauen Rauchschwaden und aufgewühlter See. Die Farbwahl ist dezent, das Design funktional, aber durchaus ansprechend. Es passt zur Thematik: Kein übertriebener Pathos, keine martialischen Symbole – sondern eine sachlich-ästhetische Einladung in die Welt der Marinegeschichte.
Die Illustrationen, sprich die Fotografien selbst, sind das Herzstück des Buches – und sie schlagen kräftig. Die Qualität ist bemerkenswert hoch, viele Bilder sind gestochen scharf, gut restauriert und auch in ihrer Auswahl wohldosiert. Es gibt keine belanglosen Wiederholungen oder sinnlosen Lückenfüller. Jedes Bild erfüllt einen Zweck – entweder, um technische Details zu zeigen, oder um eine Atmosphäre einzufangen.
Fazit: Zwischen Nostalgie und Nachdenklichkeit
„Scharnhorst und Gneisenau: Die Bildchronik 1939–1945“ ist kein lauter Paukenschlag der Geschichtsschreibung, sondern ein stilles, durchdachtes Werk. Es lebt von seinen Bildern, von Momenten, die für den Bruchteil einer Sekunde eingefroren wurden – und nun, Jahrzehnte später, wieder zum Leben erwachen. Man spürt den Respekt des Autors vor dem Thema, seine Liebe zum Detail, seine Sorgfalt im Umgang mit dem historischen Material.
Es ist ein Buch, das nicht alles erklären will, aber vieles zeigt. Und das reicht manchmal, um Geschichte greifbarer zu machen als tausend Worte.


