Rassismus in den USA (UTB)
August 2025
Ein Kompendium, das herausfordert
Man schlägt dieses Handbuch auf und merkt sofort: Das hier ist kein Buch, das man mal eben so durchliest. Silvan Niedermeier hat ein Werk herausgegeben, das die Breite, Tiefe und Komplexität des Rassismus in den USA abbildet – von den Anfängen in der Kolonialzeit bis in die Gegenwart mit Bewegungen wie Black Lives Matter. Es ist ein großes Panorama, facettenreich, manchmal erschöpfend, aber immer wichtig und relevant.
Das Buch umfasst 550 Seiten im gedruckten Format und ist als kartoniertes Taschenbuch erschienen, es ist robust im Eindruck, schwer im Gewicht – was schon symbolisch wirkt, wenn man daran denkt, wie viel Geschichte und wie viele Geschichten darin stecken. Herausgeber Niedermeier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Nordamerikanische Geschichte – und dieses Buch zeigt, dass er sowohl Überblick als auch Detailliebe mitbringt.
Struktur und Aufbau
Das Handbuch ist in viele Beiträge unterteilt – ungefähr fünfzig Kapitel, jedes von verschiedenen Expertinnen und Experten geschrieben. Die Kapitel sind gegliedert in Konzepte, gruppenspezifische Rassismen, Institutionen und Praktiken, Kriege sowie antirassistischen Widerstand.
Im ersten Teil geht es um Begriffe und Theorien – wie „Rasse“ als soziales Konzept funktioniert, was struktureller oder systemischer Rassismus bedeutet, wie Intersektionalität oder die Critical Race Theory diskutiert werden. Diese Grundlagen sind elementar, denn ohne sie wirkt alles Weitere oft fragmentarisch.
Dann folgt ein Teil, der Stimmen sichtbar macht: gegen spezifische Bevölkerungsgruppen wie Schwarzen Amerikanerinnen und Amerikanern („Antischwarzer Rassismus“), Native Americans, Asian American Pacific Islanders oder Latina/o/x Americans. Jeder dieser Beiträge beleuchtet, womit Gruppen historisch und aktuell konfrontiert sind – von Gewalt und Diskriminierung über Stereotype bis zu politischer und wirtschaftlicher Marginalisierung.
Ein dritter Teil beschäftigt sich mit institutionellen Strukturen wie Einwanderungsgesetzgebung, Wissenschaft, Gesundheit, Polizei und Justiz. Hier zeigt sich, wie tief und weit Rassismus in gesellschaftliche Systeme hineinwirkt – nicht nur als individuelles Vorurteil, sondern als eingebettete Praxis. Kriege und militärische Ereignisse tauchen auf, zum Beispiel wie Kriege rassistische Vorstellungen verstärkten oder wie rassistische Logiken militärisch instrumentalisiert wurden.
Abgeschlossen wird das Handbuch mit Beiträgen zum Widerstand: Abolitionismus, Schwarzer Feminismus, die Bürgerrechtsbewegungen, aber auch neuere Bewegungen wie Black Lives Matter. Es zeigt auf, dass es nicht nur um Unterdrückung geht, sondern auch um Kämpfe, Veränderungen, um politische und kulturelle Bewegtheit.
Stärken
Eine der größten Stärken ist die Ausgewogenheit zwischen historischer Tiefe und gegenwärtiger Relevanz. Niedermeier und die Beitragenden schaffen es, Vergangenheit und Gegenwart zu verknüpfen – Rituale, Institutionen, Denkweisen, die heute noch wirken, werden aufgezeigt.
Besonders beeindruckend ist die Vielfalt der Perspektiven: es sind nicht nur die großen bekannten Themen – Sklaverei, Segregation – sondern auch weniger oft diskutierte Bereiche wie Werbung, Wissenschaft, Umweltrassismus oder Gesundheit. Diese Nebenschauplätze verleihen dem Buch zusätzliche Dimension.
Ein weiterer starker Punkt ist die methodische Klarheit: Die einleitenden Kapitel zu Begriffen und Konzepten machen deutlich, mit welchen theoretischen Werkzeugen gearbeitet wird. Für Leser, die nicht schon fachlich fest in der Rassismusanalyse stehen, ist das wichtig, damit sie mitkommen können.
Außerdem gelingt es, Widerstand und Gegenbewegungen nicht nur als Randbemerkung zu behandeln. Viele Beiträge zeigen, wie sich Menschen und Gruppen organisiert haben, wie sie politische oder soziale Wege fanden, gegen Ausgrenzung und Gewalt. Diese Verbindung aus Analyse und Widerstand macht das Werk nicht nur lehrreich, sondern relevant und belebend.
Schwächen und Herausforderungen
Trotz aller Stärken gibt es auch Bereiche, in denen das Handbuch Grenzen zeigt. Die Fülle an Beiträgen ist beeindruckend, aber gelegentlich fühlt man sich überwältigt. Manchmal wirken einzelne Kapitel so dicht und informationsreich, dass man sie nicht flüssig lesen kann; sie fordern Pausen und Reflexion.
Weil viele Autor:innen beteiligt sind, schwankt der Ton und die Zugänglichkeit. Manche Aufsätze sind sehr wissenschaftlich, fachsprachlich und theoretisch, was für Einsteiger:innen fordernd sein kann. Vielleicht hätte man an manchen Stellen stärker glättende Übergänge oder kurze Zusammenfassungen einbauen können, damit der Leser leichter zwischen den Kapiteln navigiert.
Ein weiterer Punkt: Einige Themen sind so aktuell und politisch heiß, dass Verarbeitung und Kontext oft sehr knapp sind. Wer tiefer in bestimmte Gebiete wie moderne Technologie, Soziale Medien oder globale Vergleiche eintauchen will, wird hier Impulse finden, aber keine vollständige Abdeckung.
Illustrationen, Material und Ausstattung
Das Buch enthält Schwarz-Weiß-Illustrationen und auch farbige Bilder – diese unterstützen besonders die historischen Kapitel, etwa bei alten Fotografien zu Sklaverei, Segregation oder Lynchjustiz – aber sie sind nicht überwältigend zahlreich. Sie bieten visuelle Atempause zwischen langen Texten.
Die Größe und das Format machen das Buch handlich für den Schreibtisch, weniger für den leichten Rucksack. Aber das Gewicht und die Substanz passen zum Inhalt: man hat beim Lesen das Gefühl, etwas in Händen zu haben, das Gewicht hat – inhaltlich und materiell.
Lesbarkeit und Stil
Der Stil ist akademisch, aber weit davon entfernt, trocken zu sein. Viele Beiträge mischen theoretische Begriffe mit erzählerischen Elementen, historischen Beispielen, manchmal auch persönlichen Perspektiven. Das macht es möglich, dass man sich nicht verliert in abstrakten Definitionen, sondern immer wieder spürt, worum es praktisch geht: wie Rassismus erlebt wurde und noch wird.
Für Studierende, Forschende oder auch politisch Interessierte ist das Buch besonders geeignet – man kann kapitelweise lesen, nach ausgewählten Themen springen, aber auch ganze Abschnitte chronologisch durchgehen. Wer erwartet, einfaches Populärwissen zu erhalten, könnte an manchen Stelle enttäuscht sein – das Werk fordert, es stellt Fragen, es verlangt Reflexion.
Fazit – Ein fundamentales Werk
Rassismus in den USA von Silvan Niedermeier ist ein Handbuch, das in seiner Breite und Tiefe seiner Zeit entspricht. Es zeigt, wie tief verwurzelt rassistische Strukturen in Geschichte und Gegenwart sind, und wie viel Widerstand dagegengestellt wurde und wird. Es liefert keine einfachen Antworten, aber viele wichtige Perspektiven. Für alle, die sich ernsthaft mit den USA, Rassismus und gesellschaftlichem Wandel auseinandersetzen wollen, ist dieses Buch unverzichtbar.