Qimmik ist ein Buch aus dem Wieser Verlag und erschien am 1. Juli 2024.
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Qimmik
Als der Jäger Ulaajuk in den 1960er Jahren nach Kuujjuaraapik, das südlichste Dorf in Nunavik, an der Grenze von Tundra und Taiga, kommt, um seine Felle zu verkaufen, verliebt sich die junge Inuk Saullu in ihn. Als Ulaajuk ihr die Gebiete zeigen will, aus denen er kommt, verlassen die beiden Inuit Kuujjuaraapik und verbringen in Begleitung ihrer qim- miit, zwei Gespannen von jeweils zehn Schlittenhunden, mehrere Jahre in den Weiten von Nunavik, wo sie von der Jagd auf Robben, Belugas und Karibus leben. Als sie – Saullu hat inzwischen eine Fehlgeburt gehabt – nach Kuujjuaraapik zurückkehren, stellen sie fest, dass das Dorf sich sehr verändert hat. Häuser sind gebaut und Straßen angelegt worden, Geschäf- te haben sich angesiedelt, was aber vor allem auffällt, ist die völlige Abwe- senheit der Hunde. Beamte der Sécurité du Québec waren gekommen und hatten alle Hunde erschossen, auch diejenigen von Saullus Vater. Ulaajuk und Saullu kehren in ihr Lager zurück. Als Saullu erneut schwanger wird, will sie ihr Kind in Kuujjuaraapik zur Welt bringen. In der Nacht nach der Geburt ihrer Tochter stirbt ihr Vater. Am Tag seiner Beerdigung kommen morgens wieder Polizisten ins Dorf und erschießen Ulaajuks Hunde. Jahrzehnte später wird die Anwältin Ève Beaulieu von ihrer Kanzlei an die Côte-Nord geschickt, um den Inuk Uqittuq Ainalik zu verteidigen, der vier ehemalige Beamte der Sécurité du Québec getötet haben soll. Unter- stützt wird sie von ihrer Kollegin und Freundin Nadège, die für sie über die Opfer und den mutmaßlichen Täter recherchiert. Mit ihrem Hund Qimmik fliegt sie nach Sept-Îles, doch der alte Inuk schweigt nicht nur bei der ersten Befragung hartnäckig, sondern auch bei allen weiteren. Als er endlich doch sein Schweigen bricht, erfährt Ève, die als Baby adoptiert worden war, Dinge, die ihr Leben gründlich auf den Kopf stellen. Michel Jean wendet sich in diesem Roman erneut einem kaum be- kannten Kapitel in der Geschichte der Ureinwohner von Québec zu: die massenweise Erschießung der Schlittenhunde der Inuit in den 1960er Jah- ren durch Beamte der Sécurité du Québec, wodurch sie gehindert werden sollten, weiterhin unkontrolliert in den Weiten von Nunavik zu jagen. Da- bei gelingen ihm erschütternde Szenen, die unmittelbar zu Herzen gehen.
„Qimmik“ von Michel Jean ist ein bewegendes und tiefgründiges Werk, das ein fast vergessenes Kapitel der kanadischen Geschichte aufgreift: die brutale Erschießung der Schlittenhunde (qimmiit) der Inuit in den 1960er Jahren. Dies geschah unter der Aufsicht der Sécurité du Québec und hatte das Ziel, die Inuit in die Sesshaftigkeit zu zwingen und ihre traditionelle Lebensweise zu unterdrücken. Jean verbindet in diesem Roman historische Tatsachen mit einer emotionalen Erzählung, die bis ins Herz reicht und wichtige Fragen über Gerechtigkeit und Identität aufwirft. Die Handlung des Buches ist in zwei Zeitebenen unterteilt, was dem Roman eine besondere Tiefe verleiht. Im Mittelpunkt steht der Jäger Ulaajuk, der zusammen mit seiner Partnerin Saullu und ihren Schlittenhunden in den Weiten von Nunavik lebt. Diese eindrucksvollen Naturschilderungen zeigen die enge Bindung der Inuit zu ihren Hunden, die nicht nur Arbeitstiere, sondern regelrechte Familienmitglieder sind. Die Schlittenhunde sind ein zentrales Element ihres Lebensstils – sie ermöglichen die Jagd und das Überleben in der harschen arktischen Umgebung. Doch als die Behörden beschließen, die Schlittenhunde massenhaft zu töten, um die indigene Bevölkerung sesshaft zu machen, beginnt ein Leidensweg, der sowohl die Menschen als auch die Tiere schwer trifft.
Michel Jean gelingt es meisterhaft, die Zerstörung der Lebensweise der Inuit darzustellen und gleichzeitig eine sehr persönliche Geschichte von Liebe und Verlust zu erzählen. Die Beziehung zwischen Ulaajuk und Saullu wird durch die Naturverbundenheit der beiden und ihre gemeinsame Leidenschaft für die Jagd auf Robben und Karibus intensiviert. Doch die Idylle wird zerstört, als sie nach Jahren der Einsamkeit in Saullus Heimatdorf zurückkehren und feststellen müssen, dass ihre Hunde getötet wurden und der Lebensstil, den sie bisher führten, für immer verloren ist. Die zweite Zeitebene spielt in der Gegenwart und handelt von der jungen Anwältin Ève Beaulieu, die den Fall des Innu Uqittuq Ainalik übernimmt. Dieser wird beschuldigt, mehrere ehemalige Polizisten getötet zu haben, die in den 1960er Jahren in Nunavik im Einsatz waren. Im Laufe ihrer Nachforschungen erfährt Ève nicht nur schockierende Details über die Hintergründe des Massakers an den Hunden, sondern auch über ihre eigene Herkunft. Wie sich herausstellt, hat sie eine viel tiefere Verbindung zu den Inuit, als sie bisher wusste. Ihre persönliche Reise ist eng verknüpft mit den traumatischen Erlebnissen der indigenen Gemeinschaft und zeigt, wie die Verbrechen der Vergangenheit bis in die Gegenwart nachwirken.
Die Stärke des Romans liegt in der intensiven und authentischen Darstellung der Lebenswelt der Inuit. Michel Jean, selbst Angehöriger der Innu und erfahrener Journalist, bringt seine persönliche Verbundenheit zu den Themen in das Buch ein. Seine Schilderungen der nordischen Landschaft und der traditionellen Lebensweise der Inuit sind ebenso poetisch wie eindringlich. Es wird klar, dass der Verlust der Hunde nicht nur ein physischer Verlust war, sondern ein Bruch mit einer jahrtausendealten Kultur und Identität, die fest mit der Mobilität und der Jagd verbunden war. Doch „Qimmik“ ist mehr als nur ein historischer Roman. Es ist ein starkes Plädoyer gegen das Vergessen und eine kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte Kanadas. Jean thematisiert die systematische Unterdrückung der Ureinwohner, sei es durch die katholischen Internate, in denen Kinder ihrer Kultur entfremdet wurden, oder durch das brutale Vorgehen der Polizei, die die indigene Bevölkerung von ihrem Land vertreiben wollte. Der Titel des Buches, „Qimmik“, erinnert uns daran, dass die Schlittenhunde mehr waren als nur Tiere – sie waren das Rückgrat einer Kultur, die durch diese grausame Tat nachhaltig zerstört wurde.
Der Roman ist im Wieser Verlag erschienen, einem Verlag, der sich auf hochwertige literarische Werke spezialisiert hat und immer wieder Bücher veröffentlicht, die sich mit sozialen und historischen Themen auseinandersetzen. Michel Jean, dessen Werke vielfach ausgezeichnet wurden, hat mit „Qimmik“ einen weiteren wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Kanadas geleistet. Seine Fähigkeit, historische Fakten mit einer emotional tiefgehenden Erzählung zu verweben, macht ihn zu einem herausragenden Erzähler. Fazit: „Qimmik“ ist ein kraftvolles Buch, das den Leser in die rauen, aber wunderschönen Landschaften des Nordens Kanadas entführt und ihn gleichzeitig mit den dunklen Kapiteln der Kolonialgeschichte konfrontiert. Es ist eine bewegende und schmerzhafte Erinnerung an das Unrecht, das den Inuit und ihren Schlittenhunden widerfahren ist. Michel Jean hat eine Geschichte geschrieben, die lange nachhallt und zum Nachdenken anregt. Wer sich für die Geschichte der Ureinwohner Kanadas interessiert, sollte dieses Buch unbedingt lesen.
Qimmik
Hat mir besonders gefallen
- Der Roman fängt die Kultur und Traditionen der Inuit authentisch ein, besonders ihre Beziehung zu den Schlittenhunden
- Die Verknüpfung persönlicher Schicksale, wie die von Ève und Ulaajuk, mit historischen Ereignissen bietet eine berührende und tiefgehende Leseerfahrung
- Michel Jean beleuchtet ein wenig bekanntes, aber wichtiges Kapitel der kanadischen Geschichte, das die systematische Unterdrückung der Inuit beleuchtet
- Die Erzählstruktur mit Vergangenheit und Gegenwart sorgt für Spannung und gibt dem Leser einen umfassenden Einblick in die Verbindungen zwischen Geschichte und Gegenwart
- Die Beschreibungen der nördlichen Landschaft Kanadas sind ebenso atmosphärisch wie eindrucksvoll und laden den Leser in eine fremde Welt ein