Im Meer aufwachen (Drachenhaus Verlag)
Oktober 2024
Im Meer aufwachen: Gedichte aus Taiwan
„Im Meer aufwachen“ von Tsai Wan-Shuen, erschienen im Drachenhaus Verlag, ist eine Sammlung von 22 Gedichten, die in einem Dialog zwischen der Autorin und ihrer Tochter Ameng entstanden sind. Die Gedichte spiegeln den besonderen Moment wider, als Ameng eines Morgens den Wunsch äußerte, im Meer aufzuwachen – eine Aussage, die nicht nur titelgebend für das Buch ist, sondern auch zum poetischen Leitmotiv der Sammlung wurde. Die Verse kreisen um das Meer und die Natur, die Insel Penghu und das Leben der Familie in Taiwan, wodurch ein starker, lyrischer Bezug zur Heimat und Natur erkennbar wird.
Tsai Wan-Shuen – eine Stimme Taiwans
Tsai Wan-Shuen wurde 1978 auf Penghu, einer Insel westlich von Taiwan, geboren. Sie studierte Bildende Kunst in Frankreich und erlangte internationale Aufmerksamkeit mit ihren Installationen zur Natur und Kultur ihrer Heimat, insbesondere zu den indigenen Hakas und Ataya. „Im Meer aufwachen“ ist bereits ihr drittes Buch, das sie ursprünglich in ihrer Muttersprache Taiyu verfasste, bevor sie die Gedichte selbst ins Chinesische übersetzte. Das Werk wurde schließlich von Alice Grünfelder ins Deutsche übertragen. Der zweisprachige Aufbau (Chinesisch und Deutsch) des Buches verstärkt die Authentizität und bringt den Leser den kulturellen Wurzeln der Autorin näher.
Aufbau und Inhalte der Sammlung
Der Gedichtband ist in drei Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel „Ameng spielt mit dem Meer“ entstand, als Ameng zwei Jahre alt war. Es umfasst die kindlichen Beobachtungen und Gedanken des jungen Mädchens zur Natur, wie das Meer und den Himmel, durch die Augen ihrer Mutter betrachtet. Der zweite Teil, „Zeit in den Bergen“, schildert das Leben der Familie im Vorort Xindian, südlich von Taipei. Hier zeigt sich der Wechsel von der Unmittelbarkeit der Kindheit zur langsamen Erkenntnis des Werdens und Vergehens. Im letzten Kapitel, „Mondschilf“, reflektiert die Lyrikerin in einer bildhaften Sprache über die Natur und den Zusammenhang von Leben und Tod.
Ein besonders berührendes Gedicht in diesem Kapitel handelt vom Mond und den flirrenden Gräsern, die „ohne Wurzel, ohne Schatten“ tanzen. Mit ihren eindrucksvollen Worten zeichnet Tsai Wan-Shuen ein Bild, das die Flüchtigkeit des Lebens betont und gleichzeitig von der tiefen Verbundenheit mit ihrer Heimat erzählt.
Sprachliche Feinheiten und kulturelle Einblicke
Die Gedichte sind mehr als nur poetische Momentaufnahmen; sie vermitteln einen tiefen Einblick in die taiwanesische Kultur und das Leben auf Penghu. Tsai Wan-Shuen nutzt klare, fast minimalistische Sprache, um universelle Themen wie das Meer, den Mond und die Natur zum Ausdruck zu bringen. Dank der sorgfältigen Übersetzung von Alice Grünfelder bleiben die Bilder und die Stimmungen der Originaltexte erhalten, sodass sie auch im Deutschen ihre Poesie und Kraft entfalten können. Dieser zweisprachige Aspekt gibt dem Leser die Möglichkeit, sowohl die Schönheit der Originalsprache als auch die gelungene Übertragung ins Deutsche zu genießen.
Fazit
„Im Meer aufwachen“ ist ein Buch für Liebhaber von Lyrik und Poesie, die auf der Suche nach tiefgründigen und zugleich leicht zugänglichen Versen sind. Tsai Wan-Shuens Gedichte laden dazu ein, in die Welt Taiwans einzutauchen und dabei eigene, universelle Verbindungen zur Natur zu entdecken. Dieses Werk ist nicht nur eine Hommage an die Insel Penghu, sondern auch an das Band zwischen Mutter und Tochter, das sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht.