Finger ab (Ariadne)
Oktober 2024
Finger ab von Hannelore Cayre
Als ich Finger ab von Hannelore Cayre aufschlug, wusste ich nicht, was mich erwartete. Doch schnell stellte sich heraus, dass ich einen Krimi in den Händen halte, der weit über das übliche Genre hinausgeht. Die Geschichte, die uns in die Altsteinzeit führt, wird aus einer feministischen Perspektive erzählt und strotzt nur so vor schwarzem Humor und scharfsinniger Gesellschaftskritik.
Ein feministischer Noir-Krimi der besonderen Art
Was Finger ab besonders macht, ist die unkonventionelle Wahl des Settings: die Altsteinzeit. Doch anstatt sich in historischer Exaktheit zu verlieren, nutzt Cayre diese Epoche, um die patriarchalen Mythen zu hinterfragen, die unsere Gesellschaft bis heute prägen. Im Zentrum steht eine Paläontologin, die bei der Ausgrabung eines 35.000 Jahre alten Tatorts plötzlich eine neue Erzählweise der Geschichte fordert. Mit dem Blick durch eine neue, feministische Brille zeigt Cayre, dass Herrschaft und Gewalt in der Menschheitsgeschichte schon immer eine Rolle gespielt haben – doch sie stellt diese Machtstrukturen gekonnt infrage.
Die Handlung ist mitreißend und scharf, voll von satirischen Seitenhieben auf patriarchale Geschichtsinterpretationen. Es ist erfrischend zu sehen, wie die Autorin uns die Welt durch die Augen von Frauen zeigt, die in einer vermeintlich „grauen Vorzeit“ ihren Platz finden und beanspruchen.
Hannelore Cayre: Mehr als nur eine Autorin
Hannelore Cayre selbst bringt eine faszinierende Perspektive in ihre Romane. Sie ist nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Strafverteidigerin in Paris und hat sich als Drehbuchautorin und Regisseurin einen Namen gemacht. Diese vielfältigen Erfahrungen fließen in ihre Geschichten ein und machen sie zu einer Meisterin des subversiven Krimis. Bekannt wurde sie vor allem durch ihren Roman Die Alte, für den sie den Prix du polar européen sowie den Grand Prix de littérature policière erhielt. Auch in Finger ab merkt man schnell, dass Cayre die rechtlichen und moralischen Grauzonen des Lebens nur zu gut kennt und diese gekonnt in ihren Krimis thematisiert.
Starke Frauenfiguren und Gesellschaftskritik
Die Charaktere in Finger ab sind alles andere als eindimensional. Besonders die Frauenfiguren strotzen vor Kraft und Eigenständigkeit. Cayre schafft es, starke Protagonistinnen zu zeichnen, die sich ihren Platz in einer von Männern dominierten Welt erkämpfen. Dabei gelingt es ihr, mit viel Humor und einem scharfen Blick auf die heutige Gesellschaft, eine Parallele zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu ziehen.
Was ich besonders an diesem Buch schätze, ist die Art und Weise, wie Cayre komplexe Themen wie Geschlechterrollen, Macht und Gewalt behandelt, ohne dabei belehrend zu wirken. Sie nimmt uns mit auf eine spannende Reise in eine Zeit, die uns fremd erscheint, und hält uns dabei gleichzeitig einen Spiegel vor. Die humorvollen und gleichzeitig bitterbösen Kommentare auf die menschliche Natur und die patriarchale Gesellschaftsordnung regen nicht nur zum Nachdenken an, sondern machen das Buch auch zu einem einzigartigen Lesevergnügen.
Fazit
Finger ab ist weit mehr als ein gewöhnlicher Kriminalroman. Es ist ein feministisches Manifest, das mit viel Witz und Intelligenz die patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft hinterfragt. Hannelore Cayre hat es geschafft, mit einem ungewöhnlichen Setting und viel schwarzem Humor eine Geschichte zu schreiben, die lange nachhallt. Wer Lust auf einen Krimi hat, der nicht nur spannend ist, sondern auch tiefgründig und provokant, sollte Finger ab unbedingt lesen. Ein absoluter Geheimtipp für Fans von Krimis mit Tiefgang und einer guten Portion Satire.