Doktor Doyle jagt Jack the Ripper (Dryas Verlag)
Oktober 2024
Doktor Doyle jagt Jack the Ripper
„Doktor Doyle jagt Jack the Ripper“ von Bradley Harper ist ein historischer Kriminalroman, der mich als Leser sofort in das düstere und geheimnisvolle London des späten 19. Jahrhunderts entführt hat. Der Roman spielt im Jahr 1888, einer Zeit, die durch Armut, soziale Spannungen und den Schrecken der berüchtigten Mordserie von Jack the Ripper geprägt war. Die Kombination aus historischen Persönlichkeiten, akribisch recherchierten Fakten und spannender Fiktion macht dieses Buch zu einem besonderen Erlebnis, das sowohl Fans von Krimis als auch Liebhaber historischer Romane anspricht.
Handlung und Spannungsaufbau
Die Geschichte beginnt im September 1888, als die Londoner Polizei in den Whitechapel-Morden ermittelt. Der junge Arthur Conan Doyle, damals noch ein weniger bekannter Arzt und Schriftsteller, wird von Scotland Yard gebeten, sein Wissen in den Fall einzubringen. Er willigt ein – allerdings nur unter der Bedingung, dass sein ehemaliger Lehrer, Professor Joseph Bell, ihn begleitet. Professor Bell, bekannt für seine außergewöhnlichen Beobachtungsfähigkeiten, war in der realen Welt die Inspiration für Doyles späteren literarischen Helden, Sherlock Holmes.
Zusammen mit der Schriftstellerin und Sozialreformerin Margaret Harkness bilden Doyle und Bell ein ungewöhnliches Ermittlerteam. Margaret Harkness bringt ihre lokale Expertise und ihren Mut in die Zusammenarbeit ein, indem sie die Gruppe durch das gefährliche East End führt. Die Handlung entwickelt sich zu einer spannenden Suche nach dem Mörder, bei der die Figuren immer tiefer in die dunklen Gassen Londons eintauchen. Harper gelingt es meisterhaft, die Spannung bis zum Ende aufrechtzuerhalten. Immer wieder überraschen Wendungen und Enthüllungen, die die Figuren vor neue Herausforderungen stellen.
Charaktere und historische Authentizität
Was mich besonders beeindruckt hat, ist die Authentizität der Charaktere. Arthur Conan Doyle wird als ehrgeiziger, aber dennoch bescheidener junger Mann dargestellt, der mit seinen eigenen Unsicherheiten zu kämpfen hat. Professor Bell hingegen beeindruckt durch seine analytischen Fähigkeiten und seine fast übernatürlich wirkende Beobachtungsgabe. Diese Eigenschaften machen ihn zu einer faszinierenden Figur, die die Brücke zwischen Wissenschaft und Kriminologie schlägt.
Margaret Harkness ist eine starke weibliche Figur, die in einer von Männern dominierten Gesellschaft ihre eigene Rolle einnimmt. Ihre Entschlossenheit und ihre tiefe Verbindung zum East End verleihen der Geschichte eine zusätzliche Dimension. Sie ist nicht nur ein passives Mitglied des Teams, sondern bringt aktiv Lösungen und Perspektiven ein, die den Männern oft verborgen bleiben. Die realen historischen Bezüge zu Harkness‘ Leben als Schriftstellerin und Sozialreformerin werden dabei glaubhaft und respektvoll integriert.
Schreibstil und Atmosphäre
Bradley Harper hat einen beeindruckenden Schreibstil, der es mir leicht gemacht hat, in die Welt des viktorianischen Londons einzutauchen. Seine Beschreibungen sind lebendig und detailreich, ohne jemals überladen zu wirken. Die düsteren Gassen des East Ends, die klaustrophobische Enge der Mietskasernen und die allgegenwärtige Bedrohung durch Jack the Ripper sind so plastisch beschrieben, dass ich mich beim Lesen oft direkt vor Ort fühlte.
Besonders gelungen fand ich, dass der Autor den Ton und die Sprache der viktorianischen Zeit trifft, ohne dabei antiquiert zu wirken. Dadurch entsteht ein harmonischer Fluss, der die Lesbarkeit des Romans enorm steigert. Die Dialoge wirken authentisch und transportieren die Persönlichkeiten der Charaktere überzeugend. Gleichzeitig wird die Spannung durch präzise gesetzte Cliffhanger und Überraschungen aufrechterhalten.
Über den Autor
Bradley Harper bringt eine beeindruckende fachliche Kompetenz in seine Arbeit ein. Als pensionierter Pathologe und Colonel der US-Armee hat er über Jahrzehnte hinweg forensische Untersuchungen durchgeführt, was sich in den präzisen medizinischen Details des Romans widerspiegelt. Diese Expertise verleiht den Untersuchungen von Bell und Doyle eine glaubwürdige Grundlage und hebt das Buch von anderen historischen Krimis ab.
Nach seiner Karriere im Militär wandte sich Harper der Schriftstellerei zu. Sein Debütroman „A Knife in the Fog“ wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet und für den Edgar Allan Poe Award nominiert. Mit „Doktor Doyle jagt Jack the Ripper“ beweist Harper erneut, dass er nicht nur wissenschaftliche Expertise, sondern auch ein Händchen für spannende Geschichten besitzt.
Thematische Tiefe und historische Einbettung
Neben der spannenden Krimihandlung greift der Roman auch gesellschaftliche Themen auf. Die sozialen Missstände des viktorianischen Londons – Armut, Ungleichheit und die brutalen Lebensbedingungen im East End – werden sensibel, aber dennoch ungeschönt dargestellt. Diese Themen verleihen dem Buch eine tiefere Ebene, die über den reinen Kriminalfall hinausgeht. Sie erinnern daran, dass Jack the Ripper nicht nur ein einzelner Täter, sondern auch ein Produkt seiner Zeit war.
Die Einbindung historischer Figuren und Fakten ist dabei keine oberflächliche Spielerei, sondern trägt maßgeblich zur Authentizität der Geschichte bei. Harper zeigt nicht nur die Brillanz von Bell und Doyle, sondern auch ihre menschlichen Schwächen und Zweifel, was die Figuren nahbar macht.
Fazit
„Doktor Doyle jagt Jack the Ripper“ hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Der Roman überzeugt durch eine gelungene Mischung aus Spannung, historischer Genauigkeit und tiefgründigen Charakteren. Für Fans von Sherlock Holmes, historischem Krimi und gut erzählten Geschichten ist dieses Buch eine klare Empfehlung. Harper gelingt es, den Leser auf eine Zeitreise mitzunehmen, die gleichermaßen unterhaltsam wie lehrreich ist.