Der Bildakt (Verlag Klaus Wagenbach)
Oktober 2024
Der Bildakt
In „Der Bildakt“ nimmt Horst Bredekamp seine Leser mit auf eine faszinierende Reise durch die Welt der Bilder und deren Fähigkeit, aktiv auf uns zu wirken. Das Buch, erschienen im Verlag Klaus Wagenbach, ist eine fundierte Untersuchung zur Handlungskraft von Bildern und zu ihrer Rolle als autonome Akteure in der Wahrnehmung. Diese Theorie, die Bredekamp als Bildakt bezeichnet, öffnet neue Perspektiven auf die Art und Weise, wie wir Bilder nicht nur als passive Objekte, sondern als dynamische Akteure begreifen können.
Bereits beim ersten Aufschlagen des Buches fällt die dichte Sprache und die strukturierte Herangehensweise des Autors auf. Es wird schnell klar: Dieses Buch ist nichts für flüchtiges Blättern, sondern für tiefgehendes Lesen und Nachdenken gedacht. Wer bereit ist, sich dieser Herausforderung zu stellen, wird mit einem unvergleichlichen Einblick in die Bildwissenschaft belohnt.
Inhalt und Struktur
Bredekamp gliedert Der Bildakt in mehrere Kapitel, die schrittweise verschiedene Dimensionen des Phänomens beleuchten. Die zentrale These des Autors ist, dass Bilder nicht nur darstellen, sondern auch aktiv handeln können. Diese Handlungskraft teilt er in drei Kategorien auf:
- Schematischer Bildakt: Hierbei geht es um die Illusion von Bewegung oder Lebendigkeit, die durch visuelle oder technische Mittel erzeugt wird. Beispiele hierfür sind Bilder, die durch Maschinen wie Animatronics oder andere technische Apparate zum Leben erweckt werden.
- Substitutiver Bildakt: Bilder ersetzen in dieser Dimension reale Körper oder Objekte. Sie agieren als Stellvertreter, indem sie symbolische oder tatsächliche Funktionen übernehmen. Ein prominentes Beispiel ist das Bild des Königs, das in seiner Abwesenheit Autorität repräsentiert.
- Intrinsischer Bildakt: Diese Kategorie fokussiert auf die Eigenmacht des Bildes durch seine Form und Struktur. Es ist die innere Logik des Bildes, die seine Handlungskraft ausmacht, unabhängig davon, was es darstellt.
Bredekamp nimmt den Leser mit auf eine Reise durch historische und moderne Beispiele, die seine Theorie untermauern. Dabei reicht das Spektrum von prähistorischen Artefakten wie Höhlenmalereien bis hin zu zeitgenössischen Werken der Medienkunst. Besonders faszinierend ist, wie Bredekamp immer wieder Verbindungen zwischen Kunst, Wissenschaft und Philosophie zieht, um die interdisziplinäre Natur seiner Argumentation zu unterstreichen.
Theoretischer Hintergrund und Bezug zur Philosophie
Bredekamp stützt seine Überlegungen auf die Theorien bedeutender Denker wie Hans Blumenberg, Edmund Husserl und Immanuel Kant. Er verbindet philosophische Konzepte mit kunsthistorischen Beobachtungen und macht damit deutlich, dass der Bildakt nicht nur ein ästhetisches, sondern auch ein philosophisches Phänomen ist. Besonders aufschlussreich ist seine Diskussion der Rolle von Bildern in der Wissenschaft. Hier wird deutlich, wie Bilder nicht nur dokumentieren, sondern aktiv zur Konstruktion von Wissen beitragen.
Ein weiterer Höhepunkt des Buches ist Bredekamps Untersuchung der politischen Ikonographie. Er zeigt, wie Bilder politische Macht symbolisieren und diese Macht aktiv ausüben können, indem sie kollektive Vorstellungen prägen und Emotionen mobilisieren. Dieser Aspekt ist besonders relevant in unserer heutigen visuellen Kultur, in der Bilder in sozialen Medien, der Werbung und der politischen Propaganda eine zentrale Rolle spielen.
Stil und Lesbarkeit
Der Schreibstil von Horst Bredekamp ist anspruchsvoll und reich an Fachterminologie. Seine Argumentation ist dicht und setzt ein gewisses Maß an Vorwissen in Kunstgeschichte, Philosophie und Bildtheorie voraus. Trotzdem gelingt es ihm, auch Leser ohne tiefgehende Vorkenntnisse durch zahlreiche Beispiele und klare Erklärungen mitzunehmen. Einsteiger in das Thema könnten jedoch gelegentlich von der Fülle an Informationen überwältigt sein. Für mich war es hilfreich, das Buch in kleinen Abschnitten zu lesen und immer wieder innezuhalten, um die Gedanken zu reflektieren.
Über den Autor
Horst Bredekamp ist eine der führenden Stimmen in der Kunstgeschichte und Bildwissenschaft. Geboren 1947 in Kiel, studierte er Kunstgeschichte, Philosophie, Archäologie und Soziologie. Seine akademische Laufbahn führte ihn an renommierte Universitäten, darunter die Universität Hamburg und die Humboldt-Universität zu Berlin, wo er seit 1993 als Professor lehrt. Bredekamp ist Mitglied mehrerer bedeutender Akademien und wurde für seine Arbeit vielfach ausgezeichnet.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die politische Ikonographie, die Kunst der Renaissance und des Manierismus sowie die Theorie des Bildakts. Mit einer beeindruckenden Publikationsliste und einer Vielzahl internationaler Vorträge hat er die Diskussion um die Rolle von Bildern in Kultur und Gesellschaft maßgeblich geprägt.
Fazit
„Der Bildakt“ ist ein Werk von außergewöhnlicher Tiefe und Relevanz. Es fordert den Leser heraus, seine Wahrnehmung von Bildern grundlegend zu überdenken. Die Theorie des Bildakts, die Bredekamp entwickelt, ist nicht nur für Kunsthistoriker von Bedeutung, sondern bietet auch spannende Impulse für Philosophen, Kulturwissenschaftler und Medienforscher.
Das Buch ist anspruchsvoll, aber gerade diese intellektuelle Herausforderung macht es so lohnend. Wer bereit ist, sich auf die komplexen Gedankengänge des Autors einzulassen, wird mit einem neuen Verständnis für die Macht der Bilder belohnt. Für mich war die Lektüre eine Bereicherung, die meine Perspektive auf die visuelle Kultur nachhaltig geprägt hat.