Blut ist nicht dicker als Wasser (Klever Verlag)
Oktober 2024
Blut ist nicht dicker als Wasser
„Blut ist nicht dicker als Wasser“ von Daniela Emminger ist ein eindringlicher Roman, der sich mit Identität, familiärer Prägung und der Herausforderung beschäftigt, das eigene Leben neu zu gestalten. Die Geschichte um Joe Wander, einen vierzigjährigen Mann, der aus der Enge seiner familiären Herkunft in eine aufregende Großstadtwelt flieht, zeigt auf eine intensive Weise, wie stark uns unsere Vergangenheit prägt, selbst wenn wir sie hinter uns lassen wollen. Emminger versteht es, ihre Leser in die innere Zerrissenheit und die emotionale Suche ihres Protagonisten einzuführen und mit einer bildhaften Sprache in die urbane Kulisse New Yorks zu entführen. Die Frage, ob man sich gänzlich von den familiären Fesseln befreien kann, ist zentral und wird aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.
Handlung und Themen
Die Handlung dreht sich um Joe Wander, der aus einer Bauernfamilie stammt, die Schweine züchtet und fest in ländlichen Traditionen verankert ist. Aufgewachsen mit starren Regeln und unausgesprochenen familiären Erwartungen, hat er das Bedürfnis, diesem engen Rahmen zu entkommen. Mit vierzig Jahren entschließt er sich, den Versuch zu wagen, einen radikalen Neuanfang zu machen. Er reist nach New York, wo er auf Jim trifft, einen Chelsea-Boy, mit dem er eine intensive Verbindung eingeht. Joe adoptiert zudem eine streunende Katze, die er Zen-Katze nennt, die ihm Trost spendet und ihn begleitet.
Die Geschichte ist eine kluge Reflexion darüber, wie sehr uns unsere Herkunft prägt, selbst wenn wir physisch weit von unserem Ursprung entfernt sind. Joe wird ständig von seiner Vergangenheit eingeholt, oft in Form von Rückblenden, die von Orten und Erlebnissen in New York ausgelöst werden. Emminger verwebt die beiden Welten gekonnt: das ländliche, strenge Umfeld und die pulsierende, fast grenzenlose Energie New Yorks. Dieser Gegensatz zwischen Land und Stadt, zwischen Tradition und Freiheit, unterstreicht Joes innere Zerrissenheit und sein Ringen um eine neue Identität.
Stil und Sprache
Der Schreibstil von Daniela Emminger ist lebendig und bildhaft. Sie schafft es, New York in all seiner Vielseitigkeit und Dynamik darzustellen, ohne die Wurzeln ihres Protagonisten zu vernachlässigen. Die Beschreibungen von New York sind atmosphärisch dicht und lassen den Leser die Geräusche, Gerüche und das Leben der Stadt spüren. Im Kontrast dazu stehen die Rückblenden in das ländliche Leben, die eine fast düstere, bedrückende Stimmung erzeugen.
Emminger nutzt eine poetische und zugleich scharfsinnige Sprache, die die inneren Konflikte ihres Protagonisten eindrucksvoll widerspiegelt. Besonders die Flashbacks sind kraftvoll geschildert und geben einen Einblick in Joes emotionalen Ballast, den er mit sich herumträgt. Diese intensive Sprache fordert den Leser, sich tief in die Gefühlswelt des Protagonisten hineinzuversetzen und seine Ängste und Hoffnungen nachzuempfinden. Emminger nimmt sich Zeit, die Entwicklung ihrer Figur darzustellen, wodurch eine sehr persönliche und authentische Verbindung zwischen Leser und Protagonist entsteht.
Der Autor
Daniela Emminger, geboren 1975 in Vöcklabruck, Österreich, hat einen vielseitigen beruflichen Hintergrund, der sich auch in ihrem Werk widerspiegelt. Sie studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaften und arbeitete in verschiedenen Städten Europas, darunter Hamburg, Berlin sowie in Litauen und Lettland, als Werbetexterin und Redakteurin. Seit 2008 lebt sie in Wien und widmet sich der Schriftstellerei. Emminger hat bereits mehrere Romane veröffentlicht und wurde für ihre Werke vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Adalbert-Stifter-Stipendium des Landes Oberösterreich. Ihr Schreibstil zeichnet sich durch eine feine Beobachtungsgabe und ein Gespür für die emotionalen Tiefen ihrer Charaktere aus, was „Blut ist nicht dicker als Wasser“ zu einem besonders eindrucksvollen Werk macht.
Persönliche Eindrücke
Ich war beeindruckt von Emmingers Fähigkeit, so intensive Gefühle durch eine komplexe und bildreiche Sprache darzustellen. Die Zerrissenheit Joes zwischen seinem alten und neuen Leben und die ständige Auseinandersetzung mit seiner Herkunft und seiner Familiengeschichte haben mich tief bewegt. Es war spannend zu sehen, wie Joe sich in New York neu zu definieren versucht und dennoch immer wieder in alte Verhaltensmuster verfällt, die ihm durch seine Familie mitgegeben wurden. Der Roman stellt die Frage, ob und wie wir uns wirklich von den Erwartungen und den Prägungen unserer Familie befreien können – und ob das überhaupt erstrebenswert ist.
Fazit
„Blut ist nicht dicker als Wasser“ ist ein nachdenklich stimmender Roman über Selbstfindung und familiäre Prägung, der durch seine atmosphärische Dichte und den gekonnten Einsatz von Rückblenden beeindruckt. Daniela Emminger zeigt auf faszinierende Weise, wie die Vergangenheit auch dann ein Teil von uns bleibt, wenn wir tausende Kilometer von ihr entfernt sind. Joes innere Reise und die Herausforderung, mit seinem eigenen Erbe ins Reine zu kommen, sind universelle Themen, die viele Leser ansprechen werden. Emminger gelingt es, die emotionale Tiefe und Komplexität dieses Themas in eine bewegende Geschichte zu verpacken, die mich als Leser bis zur letzten Seite gefesselt hat.
Für alle, die sich mit den Themen Identität und der Frage, wie unsere Herkunft uns beeinflusst, auseinandersetzen möchten, ist dieser Roman eine klare Empfehlung.