America Fantastica

America Fantastica (HarperCollins)

Oktober 2024

Einst Star-Journalist, lässt den in Ungnade gefallenen Boyd Halverson seine Vergangenheit einfach nicht los, während ihn die Gegenwart zermürbt.
Autor: Tim O’Brien, Gregor Hens (Übersetzer)
Genre: Satire
zum HarperCollins Verlag
85%
Umfang
90%
Schreibstil
88%
Thema
92%
Lesbarkeit
80%
Buchcover
60%
Illustrationen
„America Fantastica“ ist ein hochaktueller Roman, der die Leserschaft dazu anregt, sich mit den dunklen Seiten der modernen amerikanischen Gesellschaft auseinanderzusetzen.


82%

America Fantastica

Mit „America Fantastica“ liefert Tim O’Brien eine satirische und zugleich tiefgründige Erzählung über die Vereinigten Staaten ab. Nach über 20 Jahren veröffentlicht O’Brien, dessen literarischer Durchbruch mit „The Things They Carried“ begann, einen neuen Roman, der die Abgründe und Merkwürdigkeiten der modernen amerikanischen Gesellschaft beleuchtet. In „America Fantastica“ nimmt O’Brien uns mit auf eine ebenso aufregende wie düstere Reise, die vom Süden Kaliforniens bis hinauf in den Norden der USA reicht und dabei die zunehmend wachsende Kluft zwischen Wahrheit und Lüge aufzeigt, die das Land prägt.

Handlung

Die Geschichte dreht sich um den desillusionierten Journalisten Boyd Halverson, der sich nach einem Karriereknick und einem persönlichen Tiefschlag für den Raub einer Bank in der kalifornischen Kleinstadt Fulda entscheidet. Mit Angie Bing, einer lebensfrohen und etwas naiven Bankangestellten, als Geisel an seiner Seite, beginnt für Boyd eine wilde Reise quer durch die Vereinigten Staaten, die ihn und Angie von Mexiko bis hin zu einem ruhigen See in Minnesota führt. Doch diese Reise ist nicht nur ein Fluchtversuch vor der Justiz, sondern auch eine Flucht vor sich selbst. Auf ihrem Weg begegnen Boyd und Angie einer illustren und oft bizarren Sammlung von Charakteren: Ex-Häftlinge, eifersüchtige Liebhaber und ein exzentrischer Milliardär verfolgen das ungleiche Paar auf Schritt und Tritt.

Interessanterweise scheint die Polizei, die ansonsten oft als allgegenwärtig und rigoros dargestellt wird, in dieser Geschichte fast abwesend zu sein, was dem Plot einen zusätzlichen Hauch von Absurdität verleiht. Es ist, als ob Boyd und Angie in einer Parallelwelt unterwegs sind, in der die Regeln und Normen unserer Gesellschaft ausgehebelt sind. Durch diese skurrile Ausgangssituation schafft es O’Brien, eine Welt zu erschaffen, die wie ein Spiegelbild des heutigen Amerikas wirkt – ein Land, das auf eine Reise ohne klares Ziel und ohne echte moralische Kompasse geht.

Themen und Motive

„America Fantastica“ ist weitaus mehr als eine klassische Abenteuergeschichte oder ein einfacher Roadtrip. Der Roman ist eine bittere Satire über die amerikanische Gesellschaft und ihre unersättliche Gier nach Ruhm, Erfolg und Macht, selbst wenn diese auf Lügen basieren. O’Brien prangert in diesem Buch die „Mythomanie“ an, eine Art von „Lügenkrankheit“, die sich in den USA verbreitet hat. Durch die Figur des Boyd Halverson – der so verstrickt in sein eigenes Netz aus Halbwahrheiten und Selbsttäuschungen ist, dass er die Realität kaum noch von der Fiktion unterscheiden kann – veranschaulicht O’Brien, wie tief die Neigung zur Täuschung in der Gesellschaft verankert ist. Diese „Mythomanie“ ist nicht nur Boyds Krankheit, sondern scheint sich auf verschiedene Charaktere und Gesellschaftsschichten zu erstrecken, was dem Leser einen tiefen Einblick in die psychologischen und sozialen Mechanismen dieser pathologischen Angewohnheit gibt.

Stil und Ton

Der Roman besticht durch O’Briens scharfsinnigen Humor und seinen oft bissigen, satirischen Ton. Seine Figuren sind lebendig, ihre Gespräche voller Sprachwitz und Ironie. O’Brien versteht es, eine feine Balance zwischen Ernst und Leichtigkeit zu finden, und lässt uns durch seinen unverwechselbaren Erzählstil die Absurditäten des modernen Lebens erleben. Stilistisch erinnert „America Fantastica“ an die Werke von Mark Twain und Kurt Vonnegut – große amerikanische Autoren, die ebenfalls die Schwächen ihrer eigenen Gesellschaft mit einem scharfen Auge und einem humorvollen, aber kritischen Unterton beleuchtet haben.

Die Dialoge in „America Fantastica“ sind schnell, teils schroff und stets voller Leben. Jede Figur bringt ihren eigenen, unverwechselbaren Klang in die Geschichte ein. Besonders Angie, die scheinbar eine Art moralischen Anker in dieser verrückten Welt darstellt, wird mit viel Sympathie gezeichnet. Sie ist die Gegenspielerin zu Boyds skrupellosem Opportunismus und trägt dazu bei, dass die Geschichte eine menschliche Seite bewahrt.

Über den Autor

Tim O’Brien ist ein erfahrener Schriftsteller, dessen Werk vor allem durch seine eigenen Kriegserfahrungen geprägt ist. Geboren 1946 in Minnesota und als Vietnam-Veteran zurückgekehrt, begann er seine literarische Karriere mit Büchern, die die seelischen Wunden des Krieges und die Erfahrungen der Soldaten auf beeindruckende Weise verarbeiteten. Sein wohl bekanntestes Werk „The Things They Carried“ gilt als Meisterwerk der Kriegs- und Anti-Kriegs-Literatur. Mit „America Fantastica“ beweist O’Brien, dass er nicht nur den Krieg, sondern auch die inneren Konflikte und moralischen Dilemmata seiner Figuren tiefgreifend und eindringlich beschreiben kann. Seine Geschichten sind geprägt von einer Ehrlichkeit und einem Einfühlungsvermögen, das ihn zu einem einzigartigen Chronisten der menschlichen Natur macht.

Fazit

„America Fantastica“ ist ein hochaktueller Roman, der die Leserschaft dazu anregt, sich mit den dunklen Seiten der modernen amerikanischen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Tim O’Brien legt eine messerscharfe Analyse vor, die gleichermaßen unterhält und erschüttert. Für mich war „America Fantastica“ eine Lektüre, die nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern auch die menschlichen Abgründe auf ironische und erschreckend ehrliche Weise beleuchtet. Es ist ein Roman, der sich in die Tradition der großen amerikanischen Satiren einreiht und dennoch seine ganz eigene Handschrift trägt. Wer auf der Suche nach einem Werk ist, das die Realität auf eine humorvolle, wenn auch schmerzhafte Weise dekonstruiert, der wird hier fündig. Tim O’Brien hat mit diesem Buch einmal mehr bewiesen, dass er einer der eindrucksvollsten Erzähler unserer Zeit ist.

Mediennerd
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Medienproduzent/Blogger, Katzenliebhaber und 1. FC Köln Fan im hohen Norden. Mit meiner Berufs- und Lebenserfahrung teste und vermarkte ich seit 2009 Produkte aller Art. Sie erhalten immer ein ehrliches Feedback.
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