Mit dem Davidstern auf der Brust (VBB)
Dezember 2024
Mit dem Davidstern auf der Brust
„Mit dem Davidstern auf der Brust“ von Kurt Schilde ist ein Buch, das mich tief bewegt hat. Es zeichnet die beeindruckende Geschichte der jüdischen Sportjugend in Berlin nach, die von 1898 bis 1938 eine zentrale Rolle für die jüdische Gemeinschaft spielte. Dabei verbindet Schilde historische Fakten mit einprägsamen Geschichten und beleuchtet eine Epoche, in der Sport weit mehr war als nur eine Freizeitbeschäftigung.
Die Entstehung und Entwicklung der jüdischen Sportbewegung
Die Geschichte beginnt mit der Gründung des Turnvereins Bar Kochba im Jahr 1898. Dieser Verein war nicht nur ein Ort für sportliche Betätigung, sondern auch ein Symbol für die jüdische Identität und Gemeinschaft. Besonders beeindruckend ist, wie Schilde die Entwicklung von Bar Kochba zu einem internationalen Zentrum der Makkabi-Bewegung darstellt.
In einer Zeit, in der Diskriminierung und Antisemitismus zunehmen, bietet der Sport jungen Menschen die Möglichkeit, Stolz und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Die Mitgliedschaft in diesen Vereinen war nicht nur ein privates Vergnügen, sondern auch eine Form des kulturellen Widerstands gegen die zunehmende Ausgrenzung. Besonders bewegend fand ich die Schilderung der sportlichen Erfolge und die Organisation internationaler Wettkämpfe, bei denen jüdische Athleten ihr Können zeigten und ihre Gemeinschaft repräsentierten.
Ein sicherer Hafen in unsicheren Zeiten
Schilde verdeutlicht, dass die Sportvereine nicht nur sportliche, sondern auch soziale und politische Funktionen erfüllten. Während der 1920er und frühen 1930er Jahre boten sie vielen jüdischen Jugendlichen einen sicheren Hafen in einer zunehmend feindseligen Umgebung. Der Grunewald-Sportplatz, den die Mitglieder in Eigeninitiative errichteten, wird als Sinnbild für die Hingabe und den Zusammenhalt der jüdischen Sportbewegung beschrieben.
Nach 1933, als jüdische Mitglieder aus bürgerlichen Sportvereinen ausgeschlossen wurden, wurden diese Vereine noch wichtiger. Sie boten eine Zuflucht und die Möglichkeit, in einer zunehmend feindseligen Gesellschaft ein Gefühl der Normalität zu bewahren. Schilde beschreibt mit großer Empathie, wie sich die Mitglieder gegen die gesellschaftlichen Widrigkeiten stemmten und die Vereine als Zentren des kulturellen und sozialen Lebens nutzten.
Der Untergang in der NS-Zeit
Der Einbruch kam 1938 mit den Novemberpogromen, die auch das Ende der jüdischen Sportbewegung in Deutschland markierten. Viele Mitglieder der Vereine wurden ermordet oder ins Exil gezwungen. Schilde setzt diesen Menschen ein Denkmal, indem er ihre Geschichten erzählt und sie mit historischen Dokumenten und Fotografien untermalt. Diese Kapitel des Buches sind besonders eindringlich und erinnern uns daran, wie schnell Freiheit und Gemeinschaft zerstört werden können.
Über den Autor
Kurt Schilde ist Historiker und Soziologe mit einem besonderen Fokus auf die Geschichte des Nationalsozialismus und der Erinnerungskultur in Berlin. Geboren 1947, hat er zahlreiche Werke verfasst, die sich mit Jugendbewegungen und Widerstand gegen das NS-Regime befassen. Sein Fachwissen zeigt sich in der sorgfältigen Recherche und der einprägsamen Darstellung der Ereignisse. Mit „Mit dem Davidstern auf der Brust“ hat er ein Werk geschaffen, das nicht nur Historikern, sondern auch der breiten Öffentlichkeit wertvolle Einblicke bietet.
Zeitgenössische Relevanz
Das Buch ist nicht nur ein historisches Dokument, sondern auch ein Weckruf. In Zeiten, in denen antisemitische Haltungen wieder zunehmen, ist es wichtiger denn je, sich der Geschichte bewusst zu sein. Der Geleittext von Christian Krull, dem Vorsitzenden der Sportjugend Berlin, unterstreicht diesen Punkt eindringlich. Er appelliert an die Leser, aus der Vergangenheit zu lernen und aktiv gegen jede Form von Diskriminierung vorzugehen. Dieser Appell bleibt auch nach der letzten Seite des Buches in meinem Kopf präsent.
Stil und Struktur
Was mir besonders an Schilde’s Stil gefallen hat, ist die Mischung aus wissenschaftlicher Präzision und emotionaler Tiefe. Die zahlreichen Abbildungen, darunter Fotos von Sportveranstaltungen, Vereinsmitgliedern und Dokumenten, ergänzen den Text hervorragend. Sie verleihen der Geschichte eine greifbare Realität und machen das Buch zu einem wertvollen Zeugnis der Zeit.
Allerdings ist der Schreibstil an manchen Stellen etwas sachlich, was den emotionalen Zugang erschweren kann. Trotzdem bleibt das Buch durch seine klare Struktur und die gut ausgewählten Beispiele durchgehend lesenswert.
Fazit
„Mit dem Davidstern auf der Brust“ ist ein Buch, das tief beeindruckt und nachhaltig nachwirkt. Es erinnert an eine Zeit, in der Sport mehr war als nur Bewegung – er war ein Ausdruck von Identität, Widerstand und Gemeinschaft. Kurt Schilde gelingt es, diese Geschichte mit großer Sorgfalt und Einfühlungsvermögen zu erzählen.
Für alle, die sich für Geschichte, Sport oder jüdische Kultur interessieren, ist dieses Werk ein Muss. Es ist eine Mahnung, die Vergangenheit nicht zu vergessen und aktiv für eine tolerante Gesellschaft einzutreten. Die Verbindung aus fundierter Recherche, emotionaler Tiefe und visuellem Material macht das Buch zu einer unverzichtbaren Lektüre.