David Copperfield (Rowohlt)
November 2024
David Copperfield
„David Copperfield“ ist eines der bekanntesten Werke von Charles Dickens und wird oft als autobiografischstes seiner Romane bezeichnet. Die Neuübersetzung von Melanie Walz, erschienen im Rowohlt Verlag, bietet eine außergewöhnliche Gelegenheit, dieses literarische Meisterwerk in einer sprachlich modernen, jedoch dem Original treuen Fassung zu erleben. Der Roman erzählt nicht nur die Lebensgeschichte eines jungen Mannes, sondern spiegelt auch die gesellschaftlichen Strukturen und Probleme des viktorianischen Englands wider. Diese Rezension beleuchtet, warum diese Neuübersetzung ein Gewinn für die deutsche Literaturwelt ist.
Inhalt und Thema
Die Geschichte beginnt mit der Geburt von David Copperfield und begleitet ihn durch alle Höhen und Tiefen seines Lebens. Früh wird er mit Verlust und Ungerechtigkeit konfrontiert: Der Tod seines Vaters, die lieblosen Erziehungsmaßnahmen seines Stiefvaters und die harte Arbeit in einer Flaschenfabrik prägen seine Kindheit. Trotz dieser Schwierigkeiten kämpft sich David durch das Leben und begegnet auf seinem Weg einer Vielzahl von Figuren, die sowohl seine Entwicklung beeinflussen als auch ein lebendiges Bild der viktorianischen Gesellschaft zeichnen.
Charles Dickens gelingt es, in diesem Werk eine Bandbreite an Emotionen und Themen zu vereinen. Die Erzählung wechselt gekonnt zwischen humorvollen, herzlichen Szenen und scharfsinniger Sozialkritik. Themen wie Armut, Ungerechtigkeit, Bildung und die Stellung der Frau werden durch die unterschiedlichen Charaktere und ihre Geschichten anschaulich gemacht. Besonders beeindruckend ist, wie Dickens es schafft, selbst Nebenfiguren wie Mr. Micawber, Uriah Heep oder Dora Spenlow eine Tiefe zu verleihen, die sie unvergesslich macht.
Schreibstil und Übersetzung
Melanie Walz hat mit ihrer Übersetzung eine Meisterleistung vollbracht. Dickens‘ komplexer, detailverliebter Stil wurde auf eine Weise ins Deutsche übertragen, die sowohl den Charme des Originals bewahrt als auch zeitgemäß und zugänglich bleibt. Die Sätze wirken weder gekünstelt noch modernisiert, sondern fangen den Geist des viktorianischen Zeitalters ein. Besonders bemerkenswert ist, wie Walz die feine Ironie und den subtilen Humor von Dickens transportiert. Dies verleiht dem Text eine Leichtigkeit, die ihn auch für heutige Leser zugänglich macht.
Es ist wichtig zu betonen, dass dies die erste umfassende deutsche Neuübersetzung von „David Copperfield“ seit mehreren Jahrzehnten ist. Dies unterstreicht nicht nur die literarische Bedeutung dieser Ausgabe, sondern macht sie auch zu einer Bereicherung für den deutschsprachigen Literaturkanon.
Lesbarkeit und Umfang
„David Copperfield“ ist ein umfangreicher Roman. Mit über 1200 Seiten zählt er zu den längeren Werken von Dickens. Dennoch gelingt es der Geschichte, den Leser durchgehend zu fesseln. Dies ist einerseits der meisterhaften Erzählkunst von Dickens zu verdanken, andererseits der flüssigen und gut lesbaren Übersetzung. Die lebhaften Charaktere und die abwechslungsreiche Handlung sorgen dafür, dass keine Langeweile aufkommt. Besonders die episodische Struktur des Romans erleichtert es, den Überblick zu behalten und sich in die verschiedenen Erzählstränge einzufinden.
Trotz seiner Länge ist der Roman keineswegs schwerfällig. Die Sprache ist präzise und atmosphärisch, die Dialoge lebendig und oft humorvoll. Der Wechsel zwischen dramatischen und komischen Momenten hält die Spannung aufrecht und macht den Roman zu einem Lesegenuss.
Buchcover und Gestaltung
Das Buch präsentiert sich in einer edlen und hochwertig gestalteten Ausgabe. Das Cover zeigt ein stimmungsvolles Motiv, das die Atmosphäre des viktorianischen Englands einfängt und den Leser sofort in die Welt von David Copperfield eintauchen lässt. Auch die Papier- und Druckqualität sind hervorragend, was das Leseerlebnis zusätzlich unterstützt.
Leider enthält das Buch keine Illustrationen, wie sie in vielen originalen Ausgaben von Dickens‘ Werken zu finden sind. Dies ist ein kleiner Wermutstropfen, da Illustrationen oft eine zusätzliche visuelle Dimension bieten. Dennoch tut dies dem Gesamteindruck keinen wesentlichen Abbruch.
Über den Autor
Charles Dickens (1812–1870) ist einer der bekanntesten Schriftsteller der Weltliteratur. Er wurde in bescheidenen Verhältnissen in Portsmouth geboren und musste bereits in jungen Jahren in einer Fabrik arbeiten, nachdem sein Vater ins Schuldgefängnis geraten war. Diese Erfahrungen flossen später in viele seiner Werke ein, insbesondere in „David Copperfield“. Mit Romanen wie „Oliver Twist“, „Große Erwartungen“ und „Eine Weihnachtsgeschichte“ hat Dickens unvergessliche Beiträge zur Literatur geleistet. Seine Werke zeichnen sich durch scharfe Gesellschaftskritik, humorvolle Charakterzeichnungen und tiefgründige Themen aus.
Dickens selbst betrachtete „David Copperfield“ als sein Lieblingswerk. Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Leser diesen Roman als eine Art literarisches Selbstporträt des Autors sehen. Die autobiografischen Elemente verleihen der Geschichte eine besondere Authentizität und machen sie zu einem einzigartigen Leseerlebnis.
Fazit
Die Neuübersetzung von „David Copperfield“ ist eine bemerkenswerte Leistung und eine wahre Hommage an Charles Dickens. Melanie Walz hat es geschafft, die Essenz des Originals einzufangen und in die deutsche Sprache zu übertragen, ohne dabei an Präzision oder Stil einzubüßen. Der Roman ist eine wunderbare Mischung aus Unterhaltung und Tiefgang, die sowohl Dickens-Kenner als auch neue Leser begeistert.
Mit dieser Ausgabe ist es dem Rowohlt Verlag gelungen, einen Klassiker der Weltliteratur in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Wer bereit ist, sich auf die Länge des Romans einzulassen, wird mit einer faszinierenden Geschichte belohnt, die voller Witz, Wärme und Weisheit steckt.