Wir haben lebenslänglich (Tectum)
Oktober 2024
Einleitung
Das Buch Wir haben lebenslänglich: Kriminalität aus der Opferperspektive beleuchtet ein Thema, das in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion häufig unterrepräsentiert ist – die Perspektive der Opfer von Kriminalität. Herausgegeben von Bodo Hombach, Frank Richter und Dorothee Dienstbühl, bietet das Werk einen umfassenden Einblick in die Herausforderungen, mit denen Kriminalitätsopfer konfrontiert sind, sowie in die gesellschaftlichen, rechtlichen und psychologischen Aspekte, die damit einhergehen. Es handelt sich um ein Buch, das zum Nachdenken anregt, aufrüttelt und wichtige Impulse für die Diskussion um den Umgang mit Opfern von Straftaten gibt.
Inhalt und Struktur
Das Buch ist als Sammelband aufgebaut und besteht aus Beiträgen unterschiedlicher Autoren, die jeweils spezifische Blickwinkel auf das Thema einnehmen. Die Kapitel reichen von wissenschaftlichen Analysen über gesellschaftliche Betrachtungen bis hin zu bewegenden Erfahrungsberichten von Betroffenen. Diese Vielfalt macht das Werk besonders facettenreich und sorgt dafür, dass sowohl emotionale als auch analytische Aspekte berücksichtigt werden.
Ein Highlight des Buches ist der Abschnitt, in dem die Autorinnen und Autoren anhand realer Fallstudien verdeutlichen, wie tiefgreifend die Konsequenzen einer Straftat für die Betroffenen sein können. Hierbei wird deutlich, dass Kriminalität nicht nur eine rechtliche Dimension hat, sondern auch psychologische, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen mit sich bringt. Besonders ergreifend fand ich die Schilderungen von Opfern, die detailliert beschreiben, wie sich ihr Leben nach einer Straftat verändert hat. Diese Beiträge geben dem Buch eine eindringliche persönliche Note.
Thematische Schwerpunkte
Ein zentrales Thema des Buches ist die gesellschaftliche Unsichtbarkeit von Opfern. Während Täter und ihre Hintergründe oft im Mittelpunkt von Medienberichten und Diskussionen stehen, werden die Erfahrungen und Bedürfnisse der Opfer häufig übersehen. Die Herausgeber machen deutlich, dass diese Schieflage nicht nur für die Betroffenen belastend ist, sondern auch gesellschaftlich problematisch. Denn ohne eine angemessene Würdigung der Opferperspektive bleibt eine zentrale Dimension von Kriminalität unerfasst.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Buches ist die Kritik am aktuellen Justizsystem. In mehreren Beiträgen wird aufgezeigt, wie Opfer in Gerichtsverfahren oft auf ihre Rolle als Zeugen reduziert werden. Dieser Umstand führt nicht selten dazu, dass sie das Gefühl haben, ein zweites Mal zum Opfer zu werden – diesmal durch das System, das sie eigentlich schützen sollte. Diese Kritik wird durch konkrete Vorschläge für Verbesserungen ergänzt, wie etwa die Einführung von Opferschutzbeauftragten oder die stärkere Einbindung der Opfer in juristische Prozesse.
Besonders beeindruckt hat mich der Abschnitt, in dem die Herausgeber die langfristigen Folgen von Kriminalität beleuchten. Hier wird deutlich, dass das Erlebte für viele Opfer nicht mit dem Ende eines Gerichtsverfahrens abgeschlossen ist. Stattdessen kämpfen sie oft jahrelang mit den psychischen und sozialen Konsequenzen ihrer Erfahrungen.
Über die Herausgeber
Bodo Hombach, einer der Herausgeber, ist eine bekannte Persönlichkeit in der deutschen Politik und Publizistik. Als ehemaliger Chef des Bundeskanzleramts unter Gerhard Schröder und späterer Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe hat er sich stets für gesellschaftlich relevante Themen engagiert. Frank Richter und Dorothee Dienstbühl, ebenfalls Herausgeber des Buches, sind als Experten für gesellschaftliche und psychologische Fragestellungen bekannt. Ihr gemeinsames Ziel, die Opferperspektive stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, zeigt sich in der Auswahl der Beiträge und der inhaltlichen Tiefe des Buches.
Schreibstil und Lesbarkeit
Der Schreibstil des Buches ist ein großer Pluspunkt. Trotz der teilweise komplexen Themen gelingt es den Autorinnen und Autoren, ihre Beiträge klar und verständlich zu formulieren. Wissenschaftliche Analysen werden durch konkrete Beispiele und anschauliche Erklärungen ergänzt, sodass das Buch sowohl für Fachleute als auch für interessierte Laien zugänglich ist. Besonders gelungen finde ich die Balance zwischen sachlicher Analyse und emotionaler Tiefe, die den Leser gleichermaßen informiert und berührt.
Gestaltung und Buchcover
Das Buch ist im Tectum Wissenschaftsverlag erschienen, der für seine hochwertigen wissenschaftlichen Publikationen bekannt ist. Das Cover ist schlicht gestaltet und passt zur Ernsthaftigkeit des Themas. Es wirkt professionell, ohne überladen zu sein, und unterstreicht den inhaltlichen Anspruch des Werkes. Zwar enthält das Buch keine Illustrationen, doch dies mindert den Wert des Buches keineswegs, da der Fokus klar auf den Texten liegt.
Fazit
Wir haben lebenslänglich: Kriminalität aus der Opferperspektive ist ein äußerst relevantes und bewegendes Buch, das eine dringend notwendige Lücke in der Diskussion über Kriminalität schließt. Es sensibilisiert für die oft übersehenen Herausforderungen, denen Opfer gegenüberstehen, und regt dazu an, das Justiz- und Gesellschaftssystem kritisch zu hinterfragen. Für alle, die sich für die sozialen und psychologischen Aspekte von Kriminalität interessieren, ist dieses Buch eine klare Empfehlung.