Der aufhaltsame Abstieg des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (Das Neue Berlin)
Juli 2023
Einleitung
„Der aufhaltsame Abstieg des öffentlich-rechtlichen Fernsehens: Berichte von Beteiligten“ bringt uns in eine spannende, manchmal ernüchternde Reflexion über den Status und die Herausforderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Das Buch, verfasst von erfahrenen Fernsehjournalisten wie Lutz Herden, Michael Schmidt, Wolfgang Herles und Luc Jochimsen und mit einem Vorwort von Daniela Dahn versehen, befasst sich intensiv mit dem Wandel und den Problemen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk seit Jahrzehnten beschäftigen. Die Autoren werfen Fragen zur Legitimität, Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit auf – Eigenschaften, die ursprünglich zur Stärkung der Demokratie gedacht waren, heute jedoch zunehmend infrage gestellt werden.
Inhaltliche Zusammenfassung
Im Zentrum der Analyse steht der tiefgreifende Wandel, den das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland durchläuft, insbesondere seit der Wiedervereinigung. Die Autoren machen deutlich, dass die Umstrukturierungen und Anpassungen der DDR-Medienstrukturen an westdeutsche Modelle in den Jahren nach der Wiedervereinigung eine Reihe von langanhaltenden Problemen mit sich brachten. Das Buch greift auf Berichte, persönliche Erfahrungen und Dokumentationen zurück, um die Herausforderungen und Widersprüche der heutigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aufzuzeigen. Dabei wird ein breites Themenspektrum abgedeckt: vom Glaubwürdigkeitsverlust über politische Einflussnahme bis hin zur wirtschaftlichen Abhängigkeit, die den ursprünglichen Auftrag und die Unabhängigkeit der Sender gefährdet.
Der Abstieg wird als „aufhaltsam“ bezeichnet, was darauf hindeutet, dass es durchaus noch Chancen zur Reform geben könnte. Doch diese Chancen zu erkennen und zu nutzen, ist für die Autorengruppe eine Frage der Bereitschaft zur Selbstreflexion und Anpassung. Sie beleuchten, wie eine Entfremdung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von der Gesellschaft stattgefunden hat – eine Entfremdung, die im Zeitalter von Digitalisierung und zunehmender Medienkonkurrenz umso deutlicher spürbar wird.
Kritische Analyse
Die persönliche Perspektive der Autoren, allesamt Insider mit jahrelanger Erfahrung, verleiht dem Buch eine besondere Authentizität und Tiefe. Ihre Schilderungen und Analysen haben ein kritisches Gewicht, das in Kombination mit ihrer eigenen beruflichen Nähe zum Thema eine besondere Schärfe entwickelt. Für Leser, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus Zuschauerperspektive kennen, eröffnen sich durch die Einblicke der Autoren neue Dimensionen und Verständnis für die Mechanismen und Zwänge, denen Journalisten und Redakteure unterworfen sind.
Die Analyse ist scharfsinnig und lässt kaum ein Tabuthema aus. Ob es die politische Einflussnahme auf die Berichterstattung oder die wirtschaftlichen Verflechtungen der Sender betrifft, die Autoren scheuen sich nicht, die Missstände klar zu benennen. Dabei wird auch nicht gespart an der Kritik an internen Hierarchien und dem, was als Vetternwirtschaft beschrieben wird. Diese klaren Worte machen das Buch besonders wertvoll, auch wenn ich gelegentlich das Gefühl hatte, dass konkrete Handlungsempfehlungen fehlen. Gerade angesichts der brisanten Fragen, die aufgeworfen werden, hätte ich mir Anregungen gewünscht, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk seiner ursprünglichen Funktion wieder besser gerecht werden könnte.
Stil und Lesbarkeit
Der Schreibstil des Buches ist angenehm prägnant, ohne dabei an Tiefe zu verlieren. Die Autoren setzen auf klare, verständliche Sprache, was die Lesbarkeit fördert. Die einzelnen Kapitel sind thematisch gut strukturiert und ermöglichen es dem Leser, den Gedanken und Argumentationen der Autoren leicht zu folgen. Allerdings könnten bestimmte Passagen, vor allem dort, wo es um die historischen und politischen Entwicklungen des Rundfunks geht, für Leser ohne tiefere Vorkenntnisse eine Herausforderung darstellen. Diese Abschnitte sind jedoch notwendig, um das gesamte Bild der Problematik zu vermitteln, und schmälern nicht den Wert des Buches.
Über die Autoren
Ein kurzes Wort zu den Autoren: Lutz Herden und Michael Schmidt sind beides ehemalige Mitarbeiter des DDR-Fernsehens in Adlershof und haben das Ende der DDR und den anschließenden Wandel des Fernsehens hautnah miterlebt. Schmidt war bis 2021 beim NDR tätig und zuletzt als Chef vom Dienst in Schwerin beschäftigt. Luc Jochimsen war von 1985 bis 2001 Chefredakteurin Fernsehen des Hessischen Rundfunks, während Wolfgang Herles zur Wendezeit als Leiter des ZDF-Studios in Bonn fungierte und später als Moderator und Redaktionsleiter der Sendung „aspekte“ arbeitete. Diese vielfältigen und facettenreichen Karrieren verleihen dem Buch eine authentische und tiefgreifende Perspektive auf die Geschichte und Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland.
Fazit
„Der aufhaltsame Abstieg des öffentlich-rechtlichen Fernsehens“ ist ein wertvolles Werk für alle, die sich mit dem deutschen Mediensystem und der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auseinandersetzen möchten. Es bietet fundierte Einblicke in die internen Strukturen, die politischen und wirtschaftlichen Einflüsse und die Herausforderungen, vor denen die Sender heute stehen. Für medieninteressierte Leser und Fachleute ist das Buch eine empfehlenswerte Lektüre, die nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern auch die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Wandel der Zeit kritisch hinterfragt. Die Tiefe und Ehrlichkeit der Berichte machen es zu einem einzigartigen Beitrag zur aktuellen Mediendebatte.