Koloniale Tiere? (Neofelis Verlag)
September 2024
Koloniale Tiere?: Tierbilder im Kontext des Kolonialismus
Das Buch „Koloniale Tiere?: Tierbilder im Kontext des Kolonialismus“ aus dem Neofelis Verlag bietet eine fesselnde Analyse der Darstellung exotischer Tiere in der europäischen Moderne, insbesondere im Kontext des Kolonialismus. Es beleuchtet, wie Löwen, Elefanten, Giraffen und andere Tiere aus den Kolonialgebieten in Kunst, Fotografie, Zoologischen Gärten und sogar in der Werbung eine Rolle spielten, um spezifische koloniale Narrative zu verbreiten.
Von Anfang an hat mich das Buch durch seine interdisziplinäre Herangehensweise begeistert. Der Sammelband vereint Beiträge von Kunst-, Kultur- und Wissenschaftshistorikern, die sich erstmals gezielt mit den kolonialen Tierbildern und deren Auswirkungen auf die westliche Wahrnehmung von „Natur“ und „Kultur“ auseinandersetzen. Besonders beeindruckend ist dabei die Fülle an Quellenmaterial: Neben historischen Gemälden und Fotografien werden auch populäre Medien wie Comics und Filme herangezogen, um zu zeigen, wie tief diese Bilder in das kollektive Gedächtnis eingebrannt sind.
Tiere als Symbol für koloniale Machtverhältnisse
Eine der zentralen Thesen des Buches ist die Verknüpfung von Tierdarstellungen mit der Kolonialpolitik europäischer Staaten. Tiere wie Löwen oder Elefanten wurden in der Kunst oft in vermeintlich unberührten, menschenleeren Landschaften dargestellt, was das Bild von Afrika als „wilder“ und „zivilisationsferner“ Kontinent verstärkte. Diese Inszenierung diente dazu, die indigene Bevölkerung zu marginalisieren und die koloniale Unterdrückung zu rechtfertigen. Besonders interessant fand ich die Analysen, die zeigen, wie diese Tierbilder gleichzeitig zur Legitimation von Gewalt und zur Romantisierung der Kolonialherrschaft beitrugen. Der Gedanke, dass Tiere als Mittel zur Exotisierung und Dehumanisierung von Menschen eingesetzt wurden, hat mich tief berührt.
Wer steckt hinter dem Buch?
Herausgeberin des Bandes ist die renommierte Kunsthistorikerin K. Lee Chichester. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf wissenschaftlichen Bildern und künstlerischen Epistemen der Frühneuzeit und Moderne. Gemeinsam mit ihrer Co-Herausgeberin Priska Gisler, ebenfalls eine anerkannte Forscherin im Bereich Kulturgeschichte, bietet sie einen differenzierten Zugang zu diesem komplexen Thema. Chichester hat unter anderem am Kunstmuseum Bern gearbeitet und ist derzeit Postdoktorandin an der Ruhr-Universität Bochum, was ihr einen tiefen Einblick in die museale Präsentation solcher Tierbilder ermöglicht. Diese Verbindung von wissenschaftlicher Theorie und kuratorischer Praxis macht sich im Buch deutlich bemerkbar und verleiht den Analysen eine zusätzliche Tiefe.
Ein Buch, das zum Nachdenken anregt
Während meiner Lektüre habe ich besonders die kritischen Auseinandersetzungen mit kolonialen Denkbildern und hegemonialen Sichtweisen geschätzt. Das Buch regt dazu an, über die vermeintlich harmlosen Tierbilder nachzudenken, die bis heute in Museen oder Filmen präsentiert werden. Es stellt die Frage, wie diese Bilder unser Verständnis von „exotischen“ Tieren geprägt haben und wie sie auch heute noch koloniale Denkstrukturen stützen. Die Herausgeber betonen, dass diese Bilder nicht nur harmlos sind, sondern Teil einer rassistischen und patriarchalen Bildsprache, die bis in die Gegenwart fortwirkt.
Eine besondere Stärke: visuelle Belege
„Koloniale Tiere?“ überzeugt auch durch seine zahlreichen Abbildungen. Mit über 50 Schwarz-Weiß- und Farbabbildungen wird die theoretische Diskussion visuell untermauert. Diese Bildbeispiele sind nicht nur dekorativ, sondern integraler Bestandteil der Argumentation. Sie machen das Buch greifbar und lassen den Leser die historische Realität der kolonialen Tierdarstellungen besser nachvollziehen. Dabei sind die Abbildungen sorgfältig ausgewählt und kommentiert, was den wissenschaftlichen Wert des Buches zusätzlich unterstreicht.
Fazit: Ein unverzichtbares Werk für Interessierte
„Koloniale Tiere?: Tierbilder im Kontext des Kolonialismus“ ist ein faszinierendes Buch, das sich nicht nur an Wissenschaftler richtet, sondern auch an alle, die sich für Kunstgeschichte, Kolonialgeschichte und die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Tier interessieren. Es hat mir neue Perspektiven auf ein Thema eröffnet, das bislang oft übersehen wurde, und regt dazu an, koloniale Narrative in unseren Bildwelten zu hinterfragen. Wer sich auf eine intellektuelle Reise begeben möchte, die sowohl historisch als auch gesellschaftskritisch ist, wird in diesem Werk eine wertvolle Quelle finden.