Nix G’wiss woas ma ned (Anton H. Konrad Verlag)
September 2024
„Nix G’wiss woas ma ned“
Als ich das Buch „Nix G’wiss woas ma ned: Der Münchner Finessensepperl – Leben und Tod des Joseph Huber“ in die Hand nahm, war ich zunächst neugierig, wie der Münchner Alltag des frühen 19. Jahrhunderts aussehen könnte. Der Titel hatte mich sofort angesprochen, vor allem, weil der Ausdruck „Nix G’wiss woas ma ned“ noch heute in München zu hören ist. Das Buch, verfasst von Andreas Nerlich, verspricht eine spannende Reise in die Vergangenheit und hält dieses Versprechen eindrucksvoll ein.
Der Finessensepperl: Ein Stadtoriginal
Joseph Huber, auch bekannt als „Finessensepperl“, war ein bemerkenswerter Charakter im alten München. Er war nicht einfach ein gewöhnlicher Bürger, sondern ein Liebesbriefbote, der diskret Nachrichten zwischen den Menschen transportierte – eine Tätigkeit, die ihn in eine besondere Rolle der damaligen Gesellschaft katapultierte. Dabei wurde er berühmt für seinen Spruch „Nix G’wiss woas ma ned“, der seine Haltung verdeutlicht: Geheimnisse wurden gewahrt, keine Gerüchte gestreut. In einer Stadt voller Klatsch und Tratsch musste jemand wie der Finessensepperl genau wissen, wann es besser war, zu schweigen.
Das Buch beschreibt ihn als kleinen Mann, körperlich unauffällig, aber mit einer besonderen Ausstrahlung. Er lebte von den Münchner Gassen und den Trinkgeldern, die er als Bote erhielt. Seine Sparsamkeit wurde ihm jedoch zum Verhängnis – es wird vermutet, dass er Opfer eines Verbrechens wurde, als er von einem Dieb überfallen wurde. Hier beginnt der spannende Teil der Geschichte.
Andreas Nerlich: Ein Blick hinter die Kulissen der Geschichte
Der Autor Andreas Nerlich ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Professor für Pathologie und ein erfahrener Mumienforscher. Sein Fachwissen bringt er meisterhaft in das Buch ein, insbesondere wenn es um die medizinische Untersuchung der Überreste von Joseph Huber geht. Diese Entdeckung bringt eine neue Dimension in die Biografie des Finessensepperls, indem sie zeigt, dass möglicherweise eine bisher unentdeckte Gewalttat zu Hubers Tod geführt hat.
Es ist beeindruckend, wie Nerlich diese wissenschaftliche Untersuchung mit historischen Recherchen verbindet. Er rekonstruiert nicht nur das Leben und die sozialen Umstände im damaligen München, sondern enthüllt auch spannende Details über den Mordverdacht, der bis in die Gegenwart ungelöst blieb. Durch diesen Perspektivwechsel fühlt man sich direkt ins alte München versetzt, mit all seinen Licht- und Schattenseiten.
Der Charme des Buches: Alte und neue Geschichten
Besonders faszinierend ist, wie das Buch Geschichten und Anekdoten aus dem Leben des Finessensepperls sammelt. Dabei kommen sowohl seine Zeitgenossen zu Wort, als auch spätere Erzählungen, die sich um den Mythos Huber ranken. Es ist diese Mischung aus historischen Fakten, Legenden und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die das Buch so lesenswert macht.
Die präzise Nachzeichnung der damaligen Gesellschaft und der Blick auf die Entwicklung Münchens während der Lebenszeit Hubers vermitteln ein lebendiges Bild der Stadt. Dabei zeigt Nerlich nicht nur das „öffentliche“ Leben des Finessensepperls, sondern auch die unsichtbaren Fäden, die die sozialen Strukturen miteinander verbanden.
Ein visuell ansprechendes Werk
Neben dem gut recherchierten Inhalt überzeugt das Buch auch durch seine visuelle Gestaltung. Auf den 140 Seiten finden sich zahlreiche historische Abbildungen und Illustrationen, die das Leben und die Zeit des Finessensepperls illustrieren. Diese Bilder ergänzen die Erzählungen und machen die Lektüre noch lebendiger.
Die gedruckten Illustrationen lassen den Leser tiefer in die Welt des alten Münchens eintauchen. Das Buchformat (22 x 27 cm) ist großzügig bemessen, was die Bilder gut zur Geltung bringt. Diese Kombination aus wissenschaftlichem Text und ansprechender Bebilderung ist eine Stärke des Werks und macht es auch für Geschichtsfans, die nicht ausschließlich auf Text fokussiert sind, sehr ansprechend.
Fazit: Ein Meisterwerk für Münchner Geschichte
„Nix G’wiss woas ma ned“ ist weit mehr als nur eine Biografie über ein altes Münchner Original. Es ist eine gelungene Verbindung von Geschichtsschreibung, forensischer Forschung und kulturhistorischen Betrachtungen. Andreas Nerlich schafft es, den Leser nicht nur zu informieren, sondern auch zu unterhalten und zum Nachdenken anzuregen. Wer sich für das alte München interessiert, sollte dieses Buch unbedingt lesen.
Die akribische Recherche und die spannenden Einblicke in das Leben und den Tod des Finessensepperls machen das Buch zu einem echten Juwel. Auch wer bisher wenig über diese Zeit wusste, wird schnell von der Erzählweise und den überraschenden Erkenntnissen gefesselt sein.