Zwei Flaneure in Berlin (Verlag für Berlin-Brandenburg)
September 2024
Zwei Flaneure in Berlin
Zwei Flaneure in Berlin von Gerd-Rüdiger Erdmann entführt uns auf eine Reise durch das Berlin der 1920er Jahre, ein Berlin, das geprägt war von kulturellem Reichtum und intellektuellen Strömungen, aber auch von den Schatten des aufkommenden Faschismus. Erdmann rekonstruiert dabei die Spaziergänge von zwei der wichtigsten intellektuellen Figuren dieser Zeit: Franz Hessel und Walter Benjamin.
Eine literarische Entdeckungsreise durch das alte Berlin
Beim Lesen des Buches fühlte ich mich sofort in das pulsierende Berlin der 1920er Jahre versetzt. Gerd-Rüdiger Erdmann nimmt uns an die Hand und führt uns zu den Orten, die für Hessel und Benjamin biografisch bedeutsam waren. Von den belebten Straßen des Westens bis hin zu den stilleren Ecken des Ostens – der Autor versteht es meisterhaft, die Atmosphäre der Stadt wieder aufleben zu lassen.
Das Besondere an diesem Buch ist die Verbindung von historischer Recherche mit literarischem Feingefühl. Erdmann beschreibt nicht nur die Orte, an denen Hessel und Benjamin flanierten, sondern auch, wie sie die Stadt erlebten und welche Rolle sie in ihren literarischen Werken spielte. Dies macht die Lektüre besonders reizvoll für alle, die sowohl an Geschichte als auch an Literatur interessiert sind.
Die Flanerie als Lebensgefühl
Erdmann beginnt das Buch mit einer Einführung in das Konzept der Flanerie. Franz Hessel, der als Pionier des Flanierens in Berlin gilt, schrieb 1929 sein berühmtes Werk Spazieren in Berlin, in dem er die Kunst des langsamen Schlenderns durch die Straßen einer Großstadt beschreibt. Walter Benjamin, ebenfalls ein leidenschaftlicher Flaneur, widmete sich der intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Flanieren in seinen Schriften. Erdmann zeigt, wie eng die beiden in ihrer Lebensweise und ihren literarischen Projekten verbunden waren.
Besonders beeindruckend fand ich, wie Erdmann das Flanieren nicht nur als Methode der Stadterkundung beschreibt, sondern als Lebensgefühl. Die Flaneure durchstreiften die Stadt, um sich vom Trubel und den Eindrücken treiben zu lassen, ohne festes Ziel und ohne Eile. Diese Idee zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch und gibt ihm seine poetische Tiefe.
Historische Orte, die heute noch lebendig sind
Einer der Höhepunkte des Buches ist die detaillierte Beschreibung der verschiedenen Orte, die Hessel und Benjamin in Berlin besuchten. Erdmann rekonstruiert die Spaziergänge der beiden durch die Stadt und beschreibt dabei Orte wie die Eislebener Straße, wo Bertolt Brecht lebte, oder die Tauentzienstraße, in der Marlene Dietrich aufwuchs. Diese Verknüpfung von literarischen Figuren und historischen Orten macht das Buch besonders faszinierend.
Für mich als Leser war es spannend zu erfahren, wie die Stadt sich seit den 1920er Jahren verändert hat und welche Spuren der Vergangenheit noch heute sichtbar sind. Erdmann versteht es, das Berlin von damals in das heutige Stadtbild zu integrieren und so die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen. Es ist fast so, als würde man beim Lesen selbst durch die Straßen Berlins flanieren.
Einblicke in die Persönlichkeiten von Hessel und Benjamin
Was dieses Buch besonders macht, sind die Einblicke in das Leben von Franz Hessel und Walter Benjamin. Beide Männer, die nicht nur als Flaneure, sondern auch als Schriftsteller, Übersetzer und Intellektuelle bekannt waren, hatten eine enge Freundschaft, die sich in ihrer Arbeit und ihren gemeinsamen Spaziergängen widerspiegelte. Hessel, der die literarische Kunst des Flanierens in Berlin begründete, und Benjamin, der die philosophische Reflexion dazu lieferte, ergänzten sich perfekt.
Die biografischen Details, die Erdmann über die beiden Flaneure liefert, machen das Buch zu mehr als nur einer reinen Stadtgeschichte. Ich habe viel über das Leben der beiden Persönlichkeiten erfahren, insbesondere über ihre letzten Jahre: Benjamin, der 1940 bei der Flucht vor den Nationalsozialisten Selbstmord beging, und Hessel, der 1941 in einem Internierungslager in Südfrankreich starb. Diese tragischen Schicksale verleihen dem Buch eine tiefere emotionale Ebene.
Fazit: Eine literarische und historische Bereicherung
„Zwei Flaneure in Berlin“ ist mehr als nur eine Hommage an Franz Hessel und Walter Benjamin. Es ist eine faszinierende Mischung aus literarischer Erkundung und historischer Reflexion, die uns zeigt, wie lebendig das Berlin der 1920er Jahre war und wie eng es mit den beiden Flaneuren verbunden ist. Wer sich für die Kulturgeschichte Berlins, das Werk von Hessel und Benjamin oder die Kunst des Flanierens interessiert, wird dieses Buch lieben.
Für mich war es eine inspirierende Lektüre, die Lust darauf macht, selbst auf den Spuren der Flaneure durch Berlin zu schlendern. Gerd-Rüdiger Erdmann gelingt es auf beeindruckende Weise, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden und uns die Schönheit des langsamen Gehens in einer hektischen Welt näherzubringen.